Die Singende Revolution im Baltikum leitete den Zusammenbruch der UdSSR ein. Die großen
folkloristisch geprägten baltischen Sängerfeste Namensgeber der Revolution wurdenauch
hierzulande als kraftvoller Ausdruck desWunsches nach Unabhängigkeit deutlich wahrgenommen. 20
Jahre nach dem Höhepunkt der nationalen Folklorewelle verwundern die immer noch
überdurchschnittliche Präsenz von Folklore im Alltag und die vielen Kontinuitäten welche eine
ambivalente sowjetische Folklore- und Nationalitätenpolitik im neuen Nationalstaat Estland
hinterlassen hat.Die Frage stellt sich wie diesowjetische Volkskunstpflege ihr kommunistisches
Image ablegen und als echt estnisch anerkannt beinahe unverändert weiterbestehen konnte und
warum gleichzeitig das Thema Volkskultur bis heute nichts an seiner Relevanz für die Identität
der baltischen Völker verloren hat. Zur Beantwortung dieser Fragen geht die Arbeit zurück in
die Goldene Zeit der sowjetestnischen Volkskunstpflege um das Jahr 1970 und richtet ihren Fokus
auf die gelebte Praxis. Sie schildert den institutionellen Aufbau und dessen Einfluss auf die
Werthaltung der Menschen beschreibt die ideologischen Regeln und wie diese umgangen bzw.
zurechtgeformt wurden und eröffnet den Blick auf eine zu dieser Zeit entstehende
Folkloreprotestbewegung.Damit beschreitet die Arbeit wissenschaftliches Neuland deren
Erkenntniswert weit über Estland und die Folklorethematik hinausgreift. Als Teil des
gesamtsowjetisch gleichen Modells der institutionalisierten und monopolisierten
Freizeitgestaltung prägte das Laienkunstsystem den Alltag von Millionen von Menschen im
sowjetischen Machtbereich dessen Fortwirken in weiten Teilen Osteuropas bis heutespürbar ist.