An Aleksej Nikolaevic Tolstoj (1883-1945) einem gebürtigen Grafen und entfernten Verwandten
Lev Tolstojs scheiden sich seit jeher die Geister. So viele anerkennende Aussagen es über sein
schriftstellerisches Talent gibt so zahlreich sind auch die enttäuschten Äußerungen über den
von ihm eingeschlagenen künstlerischen Weg in den 1920er- und 30er-Jahren der ihn zum
Klassiker der Sowjetliteratur werden ließ. Der vorliegende Band durchbricht die bislang
vorherrschende Reduktion des Autors auf die sowjetische Phase und untersucht Aleksej Tolstojs
erzählerisches und publizistisches Werk erstmals systematisch und über einen Zeitraum von knapp
40 Jahren hinweg auf die darin gestalteten Russlandkonzeptionen. Katharina Bauer zeichnet nach
wie sich Aleksej Tolstoj unter dem Eindruck des Ersten Weltkriegs der Oktoberrevolution und
des Bürgerkriegs der Erfahrung eines Lebens in der Emigration und der verschiedenen Stadien
sowjetischer Politik zwischen 1923 und 1945 in seinen Texten mit der Frage nach den
Auswirkungen dieser Ereignisse auf das Leben der Menschen in Russland und ihre Beziehung zu
Russland auseinandersetzt. Einerseits selbst oft schwankend und ratlos andererseits in seiner
Rolle als Schriftsteller dem Anspruch verpflichtet stets am Puls der Zeit zu fühlen und einen
Beitrag zur kollektiven Sinn- und Identitätsstiftung in Krisenzeiten zu leisten bewegen sich
seine Texte oftmals in einem Spannungsfeld von Untergangsstimmung und selbst verordnetem
Zukunftsoptimismus der aus der Krise eine Chance werden lässt. Aleksej Tolstojs Texte lassen
sich somit als eine Art literarische Alltags- und Mentalitätsgeschichte in Zeiten radikaler
Umbrüche lesen für deren Bewältigung der Schriftsteller ein ebenso minimalistisches wie
universell einsetzbares 'Instrumentarium' offeriert: Liebe und Glaube - die Umsetzung erweist
sich allerdings oftmals schwieriger als es auf den ersten Blick scheinen mag.