Instrumentalisiert Russland die russischsprachigen Minderheiten in den Nachbarstaaten Lettland
Estland Georgien und Ukraine zur Verteidigung seiner Position als Großmacht oder für imperiale
Zielsetzungen? Oder handelt es sich bei seiner Ukrainepolitik um Irredentismus d.h. um
expansiven Nationalismus? Franz Preissler entwickelt zur Beantwortung der ersten Frage ein
Modell auswärtiger Minderheitenpolitik bestehend aus vier unabhängigen Faktoren. Deren
wichtigster ist das Ausmaß der Konflikte zwischen Mutterland und Staat mit innerer Minderheit
hier nicht zuletzt in Sicherheitsfragen. In einem zweiten Schritt bestimmt Preissler die
Faktoren die einen Anspruch auf ein Gebiet und die dort lebende Bevölkerung in einem
angrenzenden Staat also Irredentismus befördern. Ein solcher Anspruch wird oft mit
historischen oder nationalistischen Argumenten gerechtfertigt. Der Autor untersucht ob diese
einzelnen Faktoren im Falle Russlands und der Krim sowie der Ost- und der Südukraine gegeben
waren. Preissler zufolge ist nicht klar ob es Russland nach der Krim auch um den Anschluss
(von Teilen) der Ost- und Südukraine ging. Auf jeden Fall waren geopolitische (strategische)
und innenpolitische Motive wichtiger als 'ethnonationale'. Die Putin-Führung
instrumentalisierte erneut (nach Georgien 2008) eine Minderheitenfrage in einem Nachbarstaat -
diesmal auch zur Sicherung des russischen Regimes und noch kriegerischer. Preissler zieht eine
Parallele zwischen der Entwicklung Serbiens ab Ende der 1980er Jahre und der Russlands unter
Putin seit 2012: In beiden Staaten setz(t)en Führungen zur Machterhaltung auf Nationalismus
Illiberalismus und Irredentismus. Das neue nationalistische Russland und seine Politik
gegenüber der Ukraine und dem liberalen Westen stellen vor allem für die EU und ihre liberalen
Mitgliedsstaaten eine größere Herausforderung als Serbien unter Milosevic dar.