Ich sehe sie wieder klar und beide Augen lügenMir eine schöne Welt. Ich laß mich gern
betrügenUnd blicke gerne durch in Kluft und Gruft hinein.Wenn mich auch sonst nichts freut ich
lob den Augenschein.- Volker Braun Auf anatomischer Sektion - oft schaubühnenhaft ausgestellt -
gründet unser Wissen über den Bau des menschlichen Körpers. Medizinischer Fortschritt verdankt
sich dem Einblick in unsere Natur und deren Zergliederung. Solches Wissen fand immer schon
Eingang in die Dichtkunst in der aber die Grenzen zwischen wissenschaftlicher Betrachtung und
poetischer Reflexion nicht gelten. Lyrische Menschenkunde wirkt der Zerlegung des Körpers
entgegen: Im gesteigert wahrgenommenen Detail leuchtet »der ganze Mensch« auf. Von »Kopf bis
Fuß« - mit »Leib und Seele«. Die anatomisch inspirierte Menschenkunde weitet sich aus zu einer
auf Physiologie Psychologie und Philosophie beruhenden Erforschung menschlicher Existenz
gegründet auf individueller sinnlicher Erfahrung. Fortschritt mag es in der Medizin geben -
nicht in der Kunst. In ihr lebt wissenschaftlich abgelegte Anschauung metaphorisch fort zumal
in der Lyrik. Wohl bleiben sich die menschlichen Organe gleich die Vorstellungen Anschauungen
Phantasmen und Bilder vom menschlichen Körper aber wandeln sich. Lyrische Menschenkunde wird
zur Metaphernkunde - ein unterhaltsamer Erkenntnisgewinn. Diese sich vornehmlich auf die
europäische Dichtung stützende lyrischanatomische Anthologie versammelt eine Vielfalt an
Formen: Ob Epigramm Ode Hymne oder Sonett - alle Gedichte werden zu Zeugnissen menschlicher
Selbstbehauptung.