Mit dem Anspruch der Gegenwartskunst auf die Vermittlung oder Bearbeitung von Wirklichkeit ist
die Bedeutung dokumentarischer Formen gewachsen. Vor allem in institutionskritischen Kontexten
kam es in den 1990ern zu einem Revival von Stilen aus den 70er Jahren die auf Recherche und
anderen journalistischen Techniken beruhen. Diese Entwicklungen können als Symptom eines
erneuerten Anspruchs der Kunstwelt auf Realität und gesellschaftspolitische Bedeutung
verstanden werden. Oft entsteht dabei das Missverständnis dass dokumentarische Formen die
Wahrheit der politischen und sozialen Felder gewissermaßen unverfälscht abbilden würden. Eine
Untersuchung des Dokumentarischen muss auf dessen eigene Politik der Wahrheit zielen. Welche
Politik der Wahrheit drückt sich in dokumentarischen Bildern und Tönen aus? Welche
Authentizitätsstrategien werden angewandt umdie Behauptungen zu stützen? Welche Rhetoriken der
Wahrheit Aufrichtigkeit Objektivität oder Echtheit werden artikuliert? Wie beziehen sich
dokumentarische Arbeiten auf Wirklichkeit oder Wahrheit? Welche Rolle spielen dabei
gesellschaftliche Übereinkünfte Machtverhältnisse und Vorstellungen von Subjektivität? In
welcher Verbindung stehen Praxen und Rhetoriken von Wahrheit mit Institutionen politischen
Diskursen und sozialen oder biopolitischen Technologien? Diese theoretischen Fragen werden
anhand von Beispielen aus der dokumentarischen Gegenwartskunst untersucht und die Entwicklung
verschiedener dokumentarischer Stile skizziert.