Eine Kindheit und Jugend in Mitteleuropa als dieses Mitteleuropa nach dem Zweiten Weltkrieg
gerade seine politischen und kulturellen Konturen neu eingeschrieben bekam: Ilma Rakusa geht in
ihren Erinnerungen dem kleinen Mädchen nach der Tochter eines slowenischen Vaters und einer
ungarischen Mutter deren Lebensstationen von einer slowakischen Kleinstadt über Budapest
Ljubljana Triest nach Zürich - und von da weiter ausgreifend nach Ost und West nach Leningrad
Petersburg und Paris reichen. Die überall Fremde Nicht-ganz-Zugehörige findet sehr früh schon
ihre Heimat in der Musik im Klavierspielen und mit der Entdeckung Dostojewskijs in der
Literatur aber auch in der Bewegung im Unterwegssein im Reisen. Mehr Meer geht weit über
eine Nacherzählung einer Kindheit und Jugend hinaus es ist die Beschwörung dessen was von den
vielen Lebensorten und Begegnungen bleibt: Töne und Klänge Farben und Stimmungen einzelne
Szenen und Blitzlichter ("Die Bilder sage ich in Ehren. Aber zuerst kommen die Gerüche."). In
vielen kleinen Selbstbefragungen in Dialogen Gedichten und Erinnerungsbildern geht Ilma
Rakusa ihrer Geschichte auf den Grund: der vom Vater initiierte ständige Ortswechsel das
Paradies des Meeres und der Küste in Triest und Grado erste Küsse erste Reisen die Musik und
die Begegnung mit den Ritualen der Ostkirche die ersten Auslandsjahre in Paris und im damals
noch sowjetischen Leningrad. Ilma Rakusa nähert sich ihren frühen Jahren äußerst unsentimental
und auch nicht mit dem Eifer der Bekennerin dafür mit großer Genauigkeit in einem sehr
schwierigen Bereich: im Atmosphärischen das sie mit Knappheit und Präzision erdet. In ihrem
Erinnerungsband erstehen die 50er und 60er Jahre des 20. Jahrhunderts im prismatischen Blick
einer außergewöhnlichen Schriftstellerin die wie wenige in und zwischen verschiedenen Kulturen
lebt.