Im Zentrum von Hanno Millesis Roman Zur Zeit der Schneefälle klafft ein Loch - eines das auf
unerklärliche Weise die Wand des Wohnzimmers des Protagonisten Rainer durchlässig werden
lässt. Niemand scheint für seine Entstehung verantwortlich zu sein auch kein Mitglied der auf
der anderen Seite wohnenden Familie Nolde. Sämtliche Beteiligten zeigen sich vom plötzlichen
Zerbröseln der gewohnten Barriere dermaßen verblüfft dass ihnen erstmal nichts Besseres
einfällt als den Schaden zu kaschieren anstatt etwas über seine Ursache herauszufinden oder
ihn gar zu beheben. Mit dem fortschreitenden Verfall der Wohnzimmerwand wird auch der Zustand
der Überforderung immer intensiver. Bald ist da im Grunde nur noch ein Loch das Einblicke in
beide Richtungen erlaubt. Was ehemals Privaträume waren verwandelt sich in eine Art doppelte
Stegreifbühne auf der sich der Wunsch nach der vermissten Abgeschiedenheit mit dem
komplizierten neuen Zustand eines Miteinander-Auskommens mischt. In der wechselseitigen
Beobachtung spiegeln sich die Protagonist:innen samt all ihrer alltäglichen Bedürfnisse
Fehleinschätzungen und Unzulänglichkeiten die mit viel Sinn für Situationskomik ausgekostet
werden. War nicht vielleicht doch jemand nachts auf der ¿anderen¿ Seite zugange ist
möglicherweise ein Liebhaber im Spiel oder sollten beide Seiten die Situation nicht sogar
akzeptieren und künftig als WG leben?Mit dieser vermeintlich einzigen Abweichung vom
Normalzustand - einer schwindenden Wand - erzeugt Hanno Millesi eine Erzählsituation die wie
nebenbei Einsichten in gegenwärtige gesellschaftliche Zustände ermöglicht. Rainer der gerade
eine Trennung hinter sich hat und sich beruflich eine Auszeit nimmt versucht beständig sich
eine tragfähige Einschätzung seiner surrealen Gegenwart zu erhalten. Er tut dies indem er
anhand seines Nachrichtenkonsums die ¿wirklichen¿ Probleme von den scheinbaren zu unterscheiden
versucht. Die zunehmende Unfähigkeit sich ein adäquates Bild der näheren Umgebung zu machen
wird so durch die unsichere Weltlage noch weiter irritiert obwohl die wahren Bedrohungen
denkbar weit entfernt anmuten. Hanno Millesis so unaufgeregtes wie unterhaltsames Kammerspiel
steuert zielsicher auf eine Klimax zu in der sich die individuelle Unfähigkeit sich ein Bild
von einer überkomplexen Welt zu machen lustvoll mit gesellschaftlichen Problemlagen vermischt
- mit Vereinzelung dem Schwinden der Korrektive und der überfordernden Flut an Informationen.
Zur Zeit der Schneefälle ist eine fein gezeichnete Parabel auf die Überforderungen im digitalen
Biedermeier unserer Gegenwart.