Kein Patriotismus ohne Tradition. Entsprechend verwickelt und gewunden wirkt heute die deutsche
Vaterlandsliebe. Das neue Deutschland zieht seine Legitimation dabei nicht allein aus dem
sündenstolzen Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus. Zu Referenzpersonen der nationalen
Traditionsbildung werden ausgerechnet diejenigen lange verfemten Deutschen die dem
Nationalsozialismus entgegentraten und dafür mit ihrem Leben bezahlten.Gerade die ausgesuchte
Erfolglosigkeit des deutschen Widerstands gegen Hitlerdeutschland soll heute seine Reinheit und
Würde beglaubigen. Die Devise lautet: Je aussichtloser und individueller desto sympathischer.
Dementsprechend fliegen derzeit nicht dem Widerstand des 20. Juli 1944 die Herzen zu sondern
dem zufällig gescheiterten Hitlerattentäter Georg Elser der zum authentischen Helden des
widerständigen 'anderen Deutschland' avanciert.Das war nicht immer der Fall. Die »unheimliche
Konjunktur des Georg Elser« (Sven Felix Kellerhoff) fällt mit dem Ende des Kalten Krieges
zusammen. Bis dahin war das 'Bürgerbräu-Attentat' und sein alleiniger Urheber vor allem
Gegenstand bemühter Verschwörungstheorien und ideologisch motivierten Übergehens. Der Weg zum
gesamtdeutschen Tyrannenmörder der Herzen erscheint in der Rückschau kaum als Bewusstwerden
über die ausnehmende Rolle die der schwäbische Handwerker in der Geschichte des
Nationalsozialismus einnimmt. Stattdessen sind projektive Zuschreibungen von links bis rechts
Legion.Oftmals verschüttet bleibt aber das Sperrige was den Attentäter über seine Landsleute
erhaben machte: sein Bewusstsein über die nationalsozialistische Ökonomie der Zerstörung. Aus
dieser Ignoranz erwächst sowohl die staatsoffizielle als auch die wutbürgerlich interessierte
Vereinnahmung des »fähigsten Hitlergegners« (Hellmuth G. Haasis). Gegen diese Tendenzen richtet
sich dieser Band.