Klaus Heinrichs Beschäftigung mit Heidegger reicht bis in seine Studentenzeit zurück. Wie viele
aus der sogenannten Flakhelfer-Generation stand er in der Nachkriegszeit unter dem Bann des
französischen Existentialismus und war von Heidegger so fasziniert wie schockiert. Noch seine
Habilitationsarbeit »Über die Schwierigkeit nein zu sagen« ist nicht zuletzt eine durchgeführte
Heidegger-Kritik. Die Vorlesung - eine kritische Auseinandersetzung mit den ein Jahr zuvor aus
dem Nachlaß herausgegebenen und als Fortsetzung von »Sein und Zeit« wenn nicht als Hauptwerk
geltenden »Beiträgen zur Philosophie (Vom Ereignis)« (1936-1939) - versteht sich zugleich als
Vivisektion einer postmodernen vor allem französisch inspirierten Heidegger- und
Ereignisfaszination.Schon lange vor Erscheinen der »Schwarzen Hefte« (2014-2018) setzt Heinrich
der Suggestion eines Schnitts zwischen dem politisch bekennenden Heidegger von 1933
(Rektoratsrede Wahlaufruf) und dem seinsgeschichtlich 'andenkenden' Heidegger von 1936ff. die
These einer inneren Kontinuität entgegen. Bekanntlich hatte sich Heidegger der in seiner
Aspiration als Philosophenführer des NS von Konkurrenten ausgebremst worden war ab 1934
enttäuscht aus der Politik zurückgezogen - nur um in der 'inneren Emigration' die Fundamente
des NS tiefer zu legen und mit Hölderlin und Nietzsche die eigentliche 'Bewegung' zu beschwören
ja auszuagieren - als 'Ereignis'.Als eine Philosophie die vom Pathos des ständigen
Unterwegsseins der Übertrumpfung und Übertreibung des Subjektwechsels lebt (Heinrich: »Was
vorher die zitternde Existenz war - jetzt ist es die 'Erzitterung des Seyns'«) ist ihre
seinsgeschichtliche Kehre schon lange vor der Kehre angelegt. Heinrich verfolgt sie bis auf den
Begriff der ontologischen Differenz zurück. Deren Charakter als »aufbrechender Unterschied« (so
Heidegger in Vom Wesen des Grundes 1928) wird von Heinrich als 'Ursprung in actu'
interpretiert. Gemeint ist damit der entscheidende Schritt über Ontologie als abstraktem
Ursprungsmythos (P. Tillich) hinaus - eine aktiv-opferkultische Wende die später ihre
unmißverständliche Formulierung findet: »Im anderen Anfang wird alles Seiende dem Seyn geopfert
und erst von da aus erhält das Seiende als solches seine Wahrheit« (Vom Ereignis). Heideggers
späte Philosophie läßt sich mit Heinrich als eine unendliche Initiation in dieses Opfer lesen -
als Rekultifizierung des Denkens ein Amalgam aus Katastrophe und Heilserwartung Opferkult und
Prophetismus Mysterien- und Bürokratensprache darin zugleich in tiefster Eintracht mit dem
Veranstaltungskult des NS selbst.Heinrich operiert auf mehreren Ebenen. So verfährt er nicht
nur philologisch-werkimmanent sondern auch philosophiehistorisch. In Exkursen zu Kant den
Neukantianern E. Husserl N. Hartmann K. Jaspers geht er auf die Vorgeschichte der
ontologischen Differenz ein wobei sich insbesondere der Rückgang auf W. Windelbands
Rektoratsrede von 1900 als fruchtbar erweist. Zum Verständnis der 'ontologischen Differenz'
trägt auch Heinrichs Hinweis auf Heideggers umgekehrte Lesart der kantischen Antinomientafel
bei. Mindestens ebenso wichtig ist die sprachtopographische Ebene. War schon für Adorno die
Ideologie »in die Sprache gerutscht« (Jargon der Eigentlichkeit) arbeitet Heinrich ihre
zugleich epiphanische Suggestion heraus. Diese besteht nicht zuletzt in einem so
archaisierenden wie koketten Rückgang hinter den klassischen Wahrheitsbegriff: als eine
Wahrheit die sich nur in ihrer Verbergung entbirgt läßt sie sich für Heinrich als eine
Zentralfigur für die »Nichtbewältigung unserer eigenen Vergangenheit« entschlüsseln.In die
Vorlesung eingefügt ist ein spontaner Nachruf auf den gerade verstorbenen Komponisten Luigi
Nono mit dem Klaus Heinrich Mitte der 80er Jahre eine lange Unterhaltung über den
Prometheusstoff geführt hatte. Dabei wird Nonos uvre als Antidot zu Heidegger vorgestellt.Ein
Anmerkungsapparat stichwortartiges Inhaltsverzeichnis Personen