In seinem Heimatland Frankreich gilt Vladimir Jankélévitch (1903-1985) Sohn jüdisch-russischer
Einwanderer schon lange als einer der zentralen Philosophen des 20. Jahrhunderts. In
Deutschland hingegen wurden seine philosophischen Werke über Henri Bergson das Verzeihen die
Lüge und den Tod wie auch seine musiktheoretischen Texte erst spät rezipiert. Eine deutsche
Übersetzung seiner politischen Interventionen ist bis heute völlig ausgeblieben. Für
Jankélévitch der nach der von 'Hitler-Deutschland ausgelösten Weltkatastrophe' den endgültigen
Bruch mit den Deutschen ihrer Kultur und Philosophie vollzogen hatte und sich mit dem Satz
'das Verzeihen ist in den Todeslagern gestorben' in die Debatte über die Möglichkeiten einer
deutsch-französischen wenn nicht gar: deutsch-jüdischen Versöhnung einmischte war kein Platz
im Europa der Aussöhnung. Und auch der deutschen Linken die danach trachtete ihr früheres
politisches Versagen durch den Rückgriff auf maoistische oder existenzialistische Heilslehren
nachträglich zu kompensieren war jemand wie Jankélévitch ähnlich wie etwa Jean Améry
schlicht nicht zu vermitteln. L'Esprit de résistance - schon die historische Erfahrung die
sich in der Doppeldeutigkeit des französischen Originaltitels ausdrückt lässt sich nicht ohne
Weiteres ins Deutsche übersetzen. Der Geist des Widerstands um den Jankélévitchs
moralphilosophische Reflexionen kreisen ist gezeichnet von den antifaschistischen Aktionen der
französischen Résistance sowie von der Situation der Juden im Angesicht der antisemitischen
Vernichtung die ihm als das 'radikal Böse' als 'ontologisches Verbrechen' und als
'metaphysische Abscheulichkeit' gilt weil sie gegen die Idee der Menschheit als solche
gerichtet ist: 'Vielleicht zum ersten Mal werden Menschen nicht für das was sie tun offiziell
verfolgt sondern für das was sie sind sie büßen für ihr ¿Sein¿ und nicht für ihr ¿Haben¿:
nicht für Taten für eine politische Meinung oder für ein Glaubensbekenntnis sondern für das
Verhängnis einer Geburt.' Jankélévitch erkennt früh dass sich diese Haltung auch nach der
Befreiung von den Deutschen fortsetzt nämlich im Verhalten gegenüber Israel: 'In der Tat
durchläuft der Antisemitismus alle möglichen Verwandlungen. Kein Zweifel: Der Antizionismus ist
aktuell sein furchtbarstes Alibi und seine gefährlichste Tarnung. Er ist ein unverhoffter
Glücksfall ein unauffindbarer Vorwand und eine segensreiche Begründung! Das Recht ja sogar
die Pflicht zu haben die Juden in der fleischlichen Verkörperung die Israel darstellt zu
hassen das ist der Geniestreich der antisemitischen Perversion: Er erlaubt es alle
nazistischen Instinkte zu versammeln und zu rechtfertigen und ihnen eine ¿demokratische¿
Legitimierung zu geben. Die Juden im Namen der unterdrückten Völker verfolgen: Wer kann das
überbieten?' Der Geist des Widerstands stellt demnach ein quasi fleischliches Engagement dar
dessen 'Leitidee nur aus der moralischen Empörung entstehen kann'. 'Das oberste Gebot lautet:
nicht krepieren. Danach sehen wir weiter' wie Jankélévitch 1978 in einem Brief an Jean-Paul
Sartre schreibt. Der Staat Israel ist für ihn der Versuch der Juden 'der Berufung zum Unglück'
den 'Hass auf das Schicksal' entgegenzusetzen. Mit dem Urteil 'Die Juden sind die geborenen
Feinde des Faschismus' hat der Philosoph nicht nur seine politische Ethik zusammengefasst
sondern ebenfalls die Grundlage für sein ganzes späteres Engagement offenbart das darin
besteht 'Nein zu Tyrannei und zur Schande der Knechtschaft zu sagen.' Im Zeichen eines
solchen Begriffs von Engagement stehen die Texte des vorliegenden Bands die nun zum ersten Mal
in deutscher Übersetzung erscheinen. Er versammelt verschiedene Artikel Gespräche Reden
Briefe und Manuskripte aus den Jahren der deutschen Besatzung Frankreichs bis zum Lebensende
des Philosophen (1943-1983). Ausgewählt wurden die aussagekräftigsten von Jankélévitchs
zahlreichen öffentlichen Stellungnahmen zur Résistance gegen das Vergessen die Leugnung
Relativierung und Verjährung der Shoah sowie gegen Antisemitismus Rassismus und
Totalitarismus. Außerdem wird seine unnachgiebige Weigerung dokumentiert nach dem Krieg mit
den 'Doktoren der Unbestimmtheit' zu paktieren oder auch nur einen philosophischen 'Dialog' mit
den 'Sturmabteilungen der deutschen Philosophie' zu führen wie er die französischen Anhänger
Heideggers bezeichnete. Die Texte über seine unerschütterliche Treue zum Staat Israel und über
das Verzeihen zeigen darüber hinaus seinen Anspruch 'aus ganzer Seele zu sprechen und zu
handeln'. Die Auswahl wird durch Begleittexte aus der französischen Ausgabe von Françoise
Schwab Jean-Marie Brohm und Jean-François Rey ergänzt.