Wilhelm von Saint-Thierry ist Zisterziensermönch des 11. 12. Jahrhunderts. Er ist Freund des
Hl. Bernhard von Clairvaux und gehört zu den Gründervätern seines Ordens. Im Unterschied zum
hl. Bernhard lebt er streng kontemplativ im Kloster ist also keine Chimäre zwischen Kloster
und Welt aber ein wichtiger Ideengeber für den hl. Bernhard. Hätte Martin Luther den
Römer-Kommentar Wilhelms gekannt er hätte für sein ganz ursprüngliches Kernanliegen einen
glänzenden und treuen Mitstreiter finden können. Zum Reformationsjubiläum 2017 kann man an
dieser schlichten Tatsache nicht vorbeigehen. - Wilhelm steht für Gemeinsamkeiten im Glauben.
Der Weg zu und mit Abt Wilhelm ist ein Weg in die Tiefe christlicher Spiritualität. Sein
Römer-Kommentar ist das umfangreichste und theologisch wichtigste Zeugnis der von Augustinus (
430) ausgehenden Paulus-Exegese des Mittelalters.Wilhelms Methode ist nicht philologisch im
Sinne der Exegese wie sie seit der Renaissance und weiter in der Moderne üblich ist. Seine
Exegese ist durchgehend meditativ. Das bedeutet auch eine große Verwandtschaft zum Gebet. Sein
Kommentar ist auch in der Methode ein Gegenstück zum Kommentar des Abaelardus. Er ist ein
Meilenstein auf dem Weg von Paulus über Augustinus dann über Bernhard von Clairvaux bis hin zu
Luther. Luther schätzt Bernhard über die Maßen wegen der Gnadentheologie seiner Predigten. Denn
in Wilhelms Kommentar liegt de facto eine ausgeprägte und eindrückliche Gnadentheologie vor.
Die Konzepte von Erbsünde und Sünde von Glaube und Werk von Gnade und Vorherbestimmung werden
hier vor allem glaubwürdig entfaltet.Überdies wurde er prägend für die zisterziensische
Spiritualität. Denn neben den effectus (die Gerechtmachung des Menschen) tritt der affectus d.
h. seine von Herzen kommende Liebe. Gerade auch der Römer-Kommentar ist bedeutend durch
Wilhelms Interesse am Seelenleben der Menschen an Gefühl und Willen an Licht und Dunkel
Sich-Öffnen und Verhärtung.Die rasante Ausbreitung der zisterziensischen Männer- und
Frauenklöster vor allem im Norden (in Norddeutschland aber auch in England) im 12. und 13.
Jahrhundert ist am ehesten vergleichbar mit der rasanten Ausbreitung der Reformation in der
Mitte des 16. Jahrhunderts. Die augustinisch geprägte Theologie ist in beiden Fällen zwar
verschieden entwickelt aber doch im Wesentlichen und in der Durchschlagskraft identisch.Die
mögliche Bedeutung dieses Kommentars für die Theologie der Gegenwart liegt darin daß die
sorgsame bedächtige meditative Auslegung Wilhelms der Exegese des Neuen Testaments insgesamt
helfen könnte theologisch sprachfähiger zu werden also nicht nur über Gottesvorstellungen zu
reden sondern von Gott zu erzählen und Spuren davon erkennen zu lassen daß einer mit Gott zu
reden versucht hat.