Im Jahre 1919 also vor nunmehr 100 Jahren hat der Philosoph und Erneuerer des deutschen
Judentums Franz Rosenzweig die Arbeit an seinem epochemachenden Werk »Stern der Erlösung« zu
einem Abschluss gebracht. Rosenzweig selbst nannte dieses Werk einmal einen »Kommentar ohne
Text«. Die beiden hier vorliegenden Essays sind ebenfalls Kommentare - jedoch »mit Text«. Sie
führen kommentierend das Buch zu Rosenzweigs Sprachdenken weiter das der Autor vor einigen
Jahren als Kommentar zum »Stern« veröffentlicht hat. Beide Essays dieses Bändchens kreisen um
den Zusammenhang von Sprache und Leben - es wird gezeigt dass existenzielle Themen wie Treue
und Verrat Liebe und Tod Gewalt und Verzicht Identität und Alterität Hören und Übersetzen
sich in der Sprache und als Sprache ereignen. Der Lebenscharakter der Sprache und der
Sprachcharakter des Lebendigen bedingen einander. Immer wieder erscheint dabei der Überschuss
an Bedeutung - das »Mehr als« - der Sprache innewohnend. Rosenzweig bezeichnet die Sprache denn
auch als »Gleichnis und damit mehr als ein Gleichnis«. In der hier vorgeschlagenen Lesart ragt
damit das Gleichnis über Metapher oder Allegorie hinaus indem es eine Bewegung des Zugleich
und des Sogleich in der Sprache und im Leben eröffnet. Gerade in Zeiten zunehmender Verengung
der Begriffe bekommt die Frage nach der Sprache neue Relevanz: Welch ungeahnte spielerische und
schöpferische Freiheiten ergäben sich wenn Sprache verstanden würde als eine Kraft die sich
im Verzicht auf das fertige Bild und das letzte Wissen spricht? Wie könnte sich in diesem
Verständnis ein Raum öffnen für das Sowohl-als-auch wie für den Aufschub von endgültigem Sinn
und letztem Verstehen?