Rudolf Mauersberger zählt zu den wichtigsten evangelischen Kirchenmusikern des 20.
Jahrhunderts. Komponisten wie Fortner und Pepping Thomas und Heinz Werner Zimmermann haben ihm
und dem Dresdner Kreuzchor eigene Werke gewidmet. Der Kreuzkantor hat sich kontinuierlich für
die Moderne eingesetzt. Etwa 100 Chorwerke hob er von 1932 bis 1970 aus der Taufe.
Unüberschaubar ist die Zahl seiner Erstaufführungen: Chormusik zwischen gemäßigter Moderne
atonalem Experiment und Jazzeinflüssen. Auf der anderen Seite hat Rudolf Mauersberger die Bach-
und Schütz-Musizierpraxis erneuert. In den frühen 1930er Jahren besetzte er die Oratorien des
Thomaskantors nur mit seinen 66 Kruzianern was damals Kopfschütteln hervorrief. 1950 übertrug
er seinen Knabensolisten die Sopran- und Altpartien in der h-Moll-Messe und der
Johannespassion. Auch die deutsche Schütz-Renaissance hat er intensiv beeinflusst. Er hat den
großen sächsischen Hofkapellmeister ins Bewusstsein der Dresdner Bevölkerung gebracht wie kein
anderer vor und nach ihm zudem in der Kreuzkirche eine Gedenkkapelle gestiftet und jährliche
Schütz-Tage des Kreuzchores (1955-1970) etabliert. Er machte Schütz zum »Schutzheiligen« der
Kruzianer und erhoffte sich dadurch eine Art Gegengewicht zu Bach und den Thomanern.
Mauersberger kämpfte nicht nur um den Wiederaufbau des Kreuzchores nach der Zerstörung 1945
sondern auch um die Wiederinbesitznahme der Kreuzkirche am Altmarkt als dem Dresdner Zentrum
evangelischer Kirchenmusik. Seine Energie war stärker als der Kleingeist derjenigen die
meinten mit dem Wiederaufbau der Annenkirche 1950 habe der Kreuzchor dauerhaft eine
angemessene Wirkungsstätte gefunden. Außerdem drängte Mauersberger mit dem Kreuzchor so rasch
wie möglich wieder auf In- und Auslandstournee. Er wollte einerseits dem zerstörten Dresden mit
all seinen ungelösten Problemen entfliehen andererseits in Europa stolz die wiederhergestellte
Qualität seines Chores präsentieren. Er legte auch im Ausland Wert auf anspruchsvolle
Programme. Mit den großen Bach- und mehrchörigen Schütz-Motetten mit umfangreichen Chorwerken
der Moderne wie seiner »Lukaspassion« in Skandinavien Burkhards »Die Sintflut« in den
Niederlanden oder Raphaels »Christus der Sohn Gottes« in den USA (1938). Andererseits lagen
ihm stets die deutschen Volkslieder als Mittel der Völkerverständigung am Herzen vor 1945
genauso wie danach. Er wollte in seinen Konzerten das Publikum in den Vespern die Gemeinde
erreichen jeden Einzelnen ansprechen: mit gut durchdachten Programmen ggf. liturgischen Auf-
und Abzügen mit Kerzenknaben und dem singenden Altarchor in Kurrendetracht. Was sich dem Hörer
wohl am tiefsten eingeprägt hat war der unverwechselbare Chorklang mit seinen strahlenden
metallischen Sopranen. Dieser Klang ist in zahlreichen Schallplattenaufnahmen festgehalten und
besticht genauso wie viele andere historische Interpretationen noch heute. Dies macht
zugleich deutlich wie sehr auch die Art des Singens und Musizierens einem ständigen Wandel
unterworfen ist. Der Komponist Rudolf Mauersberger (als der er sich nur ungern sah)
korrespondiert eng mit dem Klanginstinkt seines Schöpfers und dessen fast messianischem
Sendungsbewusstsein zur Zeit der NS-Diktatur und des realen Sozialismus der DDR. Er schrieb
eine klangbetonte Musik die der Aussage des Textes (meist aus Bibel und evangelischem
Gesangbuch stammend) verpflichtet ist und beim Hörer »ankommen« soll. Während der Aachener und
Eisenacher Kantor (1919-1930) nur Motetten Choralsätze und -bearbeitungen für seinen
jeweiligen Alltag schrieb ist der Kreuzkantor in Dresden (1930-1971) schließlich zur Großform
vorgestoßen nachdem er schon einmal (bis 1919) die Großform kompositorisch erprobt hatte
allerdings vorwiegend im Bereich des Instrumentalen. So entstanden für den Dresdner Kreuzchor
unter den Nöten der Zeit geistlich-liturgische Werke in chorisch getrennter Aufstellung a
cappella oder mit obligaten Instrumenten mit Glockenklang und Gemeindege