Am 26. Mai 1945 gibt Leo Borchard als frisch ernannter Chefdirigent des Berliner
Philharmonischen Orchesters sein erstes Konzert im Berliner Titania-Palast. Es ist zugleich das
allererste Konzert der Philharmoniker nach dem Zweiten Weltkrieg. Sowohl die russischen
Besatzer als auch die später in Berlin eintreffenden Amerikaner und Briten huldigen dem
sechsundvierzig Jahre alten Dirigenten. Ist in ihm vielleicht schon der Nachfolger Wilhelm
Furtwänglers gefunden?Aber schon das Konzert am 25. August dirigiert Borchard nicht mehr.
Amerikanische Soldaten erschießen ihn zwei Tage zuvor als er in dem Fahrzeug eines britischen
Offiziers am heutigen Bundesplatz die Sektorengrenze passieren will. Die Kugeln treffen einen
Dirigenten der sich dem Dritten Reich standhaft verweigert hatte und mit der von ihm und
seiner Lebensgefährtin Ruth Andreas-Friedrich gegründeten Widerstandsgruppe »Onkel Emil« vielen
Verfolgten helfen konnte. Matthias Sträßner widmet sich dem »Fall Borchard« aufgrund des
unerwartet aufgetauchten Archivs der Schwester des Dirigenten Margarita von Kudriavtzeff nach
fast zwanzig Jahren ein zweites Mal und deutlich erweitert: Die Geschichte von Leo Borchard ist
nicht nur wegen ihres tragischen Endes spannend sondern gerade auch wegen seines
ungewöhnlichen Lebens. In seiner Biographie fokussieren sich die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg
in Berlin und das Dritte Reich auf bemerkenswerte Weise. Und die hundert Tage des
Chefdirigenten Borchard zeigen dass die Nachkriegsgeschichte der Berliner Philharmoniker auch
ganz anders hätte verlaufen können...