In Senecas 123. Brief zeigt sich die Problematik des Interpunktierens antiker Texte. Dort lässt
Seneca beispielhaft das Volk sprechen (Vulgusrede 11) indem er das Gerede der Leute
entsprechend seiner eigenen Wahrnehmung bei seinen Zeitgenossen wörtlich wiedergibt: wie mit
einer Stimme legen diese ihre erbärmlich-hedonistische Lebenseinstellung gegenüber einem in der
2. Person Angesprochenen dar und geben sich bestrebt ihre Vorstellung von gutem Leben auch für
ihr Gegenüber verbindlich zu machen. Es folgt darauf eine Textpassage von 22 Wörtern die durch
Interpunktion als Teil dieser Rede interpretiert worden ist. Diese Worte sind Ausdruck von
Empörung gegenüber moralisch belehrenden Personen (paedagogi) sie enthalten eine Aufforderung
diese zu verachten und einen Appell an den Entscheidungswillen eines Angesprochenen.An dieser
Stelle entsteht für den Leser sofern er das Anführungszeichen am Ende der Textpassage beachtet
hat ein Eindruck von sprachlicher und inhaltlicher Unstimmigkeit diese aufzulösen ist der
Anspruch der vorliegenden Arbeit. Eine stilistische Analyse und eine umfassende semantische
Untersuchung der sinntragenden Wörter dieser zur Diskussion stehenden Textpassage auf der
Grundlage aller philosophischen Schriften Senecas führen zu dem Ergebnis dass diese 22 Wörter
nicht Teil der Vulgusrede sein können sondern dass vielmehr der Philosoph Seneca selbst sich
hier mit aufrüttelnden Worten an seinen Leser wendet.