Das Kleben an der Gegenwart (Hodiezentrik) und den digitalen Medien (Klickseligkeit) wird in
diesem neuen Essay-Band mit 21 Rezensions-Florilegien als die augenfälligste Veränderung
unserer Kultur angesehen und hat die Auswahl der Lektüren bestimmt. Jenes Kleben verändert
unter unseren Augen und - ob wir wollen oder nicht - mit unserer Beteiligung das alte Europa in
früher nicht vorstellbarer Weise. Ein wichtiges Antriebsmoment ist ganz offensichtlich
technologischer Natur verspricht aber auch geschäftlich reiche Beute. Offenbar hat es auch die
Eigenschaft andere Schwungräder zum Stillstand zu bringen zumal das Lesen von Büchern die
altehrwürdige Lesekultur oder allgemeiner den Umgang des Menschen mit der Realität über die
Abstands- und Platzhalter der Buchstaben. Lange Texte werden als Bleiwüsten gute Menschen als
Gutmenschen diffamiert. Wer liest stiehlt dem lieben Gott an den keiner mehr glaubt
wertvolle Zeit deren sinnvolle Verwendung mit immer besseren Präzisionsinstrumenten unter
Bewachung steht. So gesehen macht es Sinn dass wir die Schulen mit Digitalisierungswellen
überziehen. Interessant ist dabei der Aspekt einer digitalen Kultur der Vergesslichkeit durch
Angebotsüberfülle. Das leistet Amnesien Vorschub und würde Anamnesen behindern falls wir eines
Tages aufwachten und die Folgen unseres absichtslosen Tuns erkennten. Gedächtnis Erinnerung
und Buchstaben gehörten als Ensemble seit Jahrhunderten zur Grundausstattung europäischer
Bildungsanstrengungen. Fielen sie weg obsiegten dann Spontaneität und Zerstreuung über
Verlässlichkeit und Aufmerksamkeit? Müssten sich dann alle Tattoos auf die Haut brennen als
tribales Gegenmittel zum grassierenden Gedächtnisschwund - mein eigener Körper als ein letztes
Reservoir für Lebenssinn und privates Gedächtnis? Aber wer genau hat das gewollt geplant und
über welche Kanäle weltweit durchgesetzt? Waren es wieder einmal man kann es nicht mehr hören
die Märkte die angeblich immer genau wissen was die Stunde geschlagen hat? Europas Weg wäre
dann vom Christentum (Seelenheil) über das Konsumententum (Körperwohl) in das Heutetum
(Allgegenwart Hodiezentrik) gegangen was auch eine Leistung ist. Die letztere Etappe ist in
Romanform schon 1932 gestaltet worden in Huxleys Brave New World. Kernsätze: History is bunk
und FORD (der Autobauer) is LORD (der neue Gott). Eine solche Welt ist zwar sicher neu schön
ist sie wahrscheinlich aber nicht.