Der hier beschriebene Werdegang der über drei Jahrhunderte im Baltikum ansässigen Familie
Wistinghausen gewährt spannende Einblicke in die nord- und osteuropäische Geschichte.
Ursprünglich als Amtsmeier auf dem Lande in Lippe-Detmold beheimatet ließen sich zu Anfang des
17. Jahrhunderts einzelne Familienmitglieder als Kaufleute in der Hansestadt Lübeck nieder. Von
hier wanderten einige Wistinghausen nach Lübecks hanseatischer Tochter Reval (Tallinn) weiter
Hauptstadt des damals zu Schweden gehörenden Estland. Mit der Unterwerfung Estlands unter
Peter den Großen nach seinem Sieg über Schweden 1710 wurden die Wistinghausen russische
Untertanen und blieben dies bis zur Revolution in deren Folge Estland 1918 als ein eigener
Staat entstand. In Reval wirkten die Wistinghausen fünf Generationen lang als Kaufleute und
Ratsherren welche die Stadt verwalteten. Nachdem Reval seit der Gründung von St. Petersburg
zunehmend als Handelsplatz an Bedeutung verlor mussten sich auch die Wistinghausen beruflich
neu orientieren wurden Gutsbesitzer (Schloss Leal Lihula) traten in den Staatsdienst
studierten Medizin gingen in die Residenz St. Petersburg. Aufgrund der von Kaiserin Katharina
II. 1785 erlassenen Adelsordnung zählte die Gesamtfamilie seit 1813 als von Wistinghausen zum
russischen Adel. 1854 und 1860 wurden zwei Zweige der Familie in die Estländische Ritterschaft
aufgenommen. Das vorliegende Buch beschreibt vor allem die Lebenswege bedeutender
Familienangehöriger im Kontext ihrer estländischen und russischen Umwelt. Friedrich Wilhelm
(1777-1839) errichtete für Kaiser Alexander I. in Peterhof bei St. Petersburg die erste moderne
russische Papierfabrik (und legte den Grundstein für eine solche in Reval) wurde dann aber
unter Nikolai I. fallen gelassen und verlor alles. Dr. med. Karl Alexander (1826¿-1883)
wechselte in die staatliche Verwaltung wurde hoher Beamter in Estland und gehörte zu den
Gründern des dortigen Roten Kreuzes. Im Gedächtnis geblieben ist er vor allem als Präsident des
3. Estnischen Sängerfestes 1880 in Reval. Sein Sohn Dr. med. Reinhold v. Wistinghausen
(1863¿-1939) wirkte hier bis 1918 als hoch angesehener Chirurg. Die weltpolitischen
Umwälzungen nach 1918 zwangen Reinhold v. Wistinghausen wie viele seiner baltischen Landsleute
zu einem Neuanfang im Deutschen Reich. Im Mittelpunkt stehen hier seine Söhne Kurt (1901-1986)
als Mitbegründer der 'Christengemeinschaft' und Almar (1904¿-1989) als Mitbegründer des
'Demeter-Bundes' zwei Pioniere der Anthroposophie und Zeitzeugen von Rudolf Steiner sowie ihr
Vetter der Landwirt und Diplomat Rudolf v. Wistinghausen (1905¿-1981) dessen Lebensweg auch
interessante Einblicke in das Innenleben des Auswärtigen Amts während des Dritten Reichs und
die bundesrepublikanischen Wiederanfänge nach dem Zweiten Weltkrieg bietet. Im Ruhestand war er
Vorsitzender der Deutsch-Baltischen Landsmannschaft im Bundesgebiet. Mit der Umsiedlung der
Deutschen aufgrund des 'Hitler-Stalin-Pakts' verließen 1939 die letzten Mitglieder der Familie
Estland. Henning v. Wistinghausen der Autor dieses Buchs Jurist und 36 Jahre deutscher
Diplomat hat sich seit seiner Jugend mit Familiengeschichte befasst. So ist dieses Buch auch
das Ergebnis jahrzehntelanger Forschungen. Als erster Deutscher Botschafter seit 1991 in der
wieder selbständigen Republik Estland konnte er dann selbst vor Ort an die Geschichte seiner
Vorfahren anknüpfen.