1924 erschien das erste »Manifest des Surrealismus« von André Breton. Ein Ereignis das genau
hundert Jahre später Anlass für ein Jubiläum ist das mit zahlreichen Ausstellungen und
Veranstaltungen zelebriert wird. Übersehen werden hierbei aber Entwicklungen die bereits fünf
Jahre zuvor die Entstehung des Surrealismus einleiteten und ihn erstmals als Methode
präfigurierten: Bekanntgemacht von Guillaume Apollinaire suchten André Breton und Philippe
Soupault (1897-1990) nach einer neuen Literatur einer neuen Schreibweise die nach der
traumatischen Erfahrung des Krieges geistiges Neuland erschließen sollte. Unter dem Eindruck
der Entdeckung des Unbewussten den Schriften zur Arbeit des Traumes von Sigmund Freud und
Pierre Janets Text »Der psychologische Automatismus« setzten sich Breton und Soupault dem
Experiment der »automatischen Schreibweise« aus. Soupault zufolge schrieben sie zwei Wochen
jeder für sich wenn auch zeitweise in einem Raum mit dem Ziel einen Ausdruck geistiger
Freiheit zu finden der sich nicht mehr ästhetischen und moralischen Forderungen unterwirft.
Das Ergebnis ist unverstellte Poesie die einem Freiheitsgefühl entspringt und in der
Gemeinschaftlichkeit ihre Entstehung weiß. 1920 erfolgte die vollständige Veröffentlichung
unter dem Titel »Les Champs magnétiques« bestärkt durch den Freund und Mitstreiter Louis
Aragon. Die einzelnen Texte sind den Autoren erkennbar zugeordnet mitunter in eine dialogische
Konstellation gesetzt. Wenig später trennten sich die Wege der Surrealisten. Breton verfolgte
andere Ziele wollte Gesetze und Regeln des Surrealismus belegen was er mit seinem Manifest
realisierte. Soupault hingegen blieb bei der geistigen Einstellung unkompromittierbarer
Freiheit was er später rückblickend folgendermaßen formulierte: »Tatsächlich ist der
Surrealismus keine literarische Schule oder Religion er ist Ausdruck einer Haltung einer
geistigen Einstellung vor allem jedoch einer möglichst vollständigen Befreiung.« Die deutsche
Übersetzung von Ré Soupault erschien 1990 bei Wunderhorn mit einem Nachwort. Die vergriffene
Ausgabe wird hiermit neu aufgelegt und lenkt den Blick auf einen blinden Fleck der
zeitgenössischen Rezeption des Surrealismus. Sie soll nicht dessen »eigentlichen« Ursprung
beanspruchen sondern gerade in der Infragestellung solcher Ursprünglichkeit eine weitere Spur
der surrealistischen Bewegung sichtbar machen.