Der Großvater liegt im Sterben und mit ihm ein ganzes Jahrhundert. Die Enkelin an seinem Bett
versteht sein Ukrainisch nicht. Zeitlebens hat er hat die ganze Familie nur Russisch
gesprochen. 'Ukrainisch ist keine Sprache' hieß es. Und heißt es jetzt wieder im russischen
Staatsfernsehen das die emigrierte Familie nun von Deutschland aus verfolgt. Die Erinnerung
überfällt den Großvater wie ein Tier und schleudert ihn durch die Zeiten: Mal spricht er von
der Wehrmacht vor der er sich in den Wäldern um Czernowitz versteckt hat mal fragt er auf
Jiddisch was gerade in den Tunneln unter Gaza geschieht. Sein Verstand kann sich keinen Reim
mehr auf die Gegenwart machen. Und vielleicht gibt es auch keinen Reim mehr auf diese Gegenwart
denkt die Enkelin an seinem Bett. Vielleicht sollte er den Kampf um seine Erinnerung lieber
aufgeben. 'Vergiss uns Danja. Wäre es nicht besser du vergisst?' Danja mein dementes
Jahrhundert ist ein literarischer politischer und zugleich persönlicher Text entstanden im
Auftrag der Salzburger Festspiele 2024. Sasha Marianna Salzmanns Großvater Vorbild der
Danja-Figur ist Referenzpunkt auch in zwei Reden die hier mit abgedruckt werden: Keine
Gedichte über Krieg Salzmanns Eröffnungsrede des Europäischen Festivals ¿Mit Sprache handeln¿
am Literarischen Colloquium Berlin und die vielbeachtete Dankesrede anlässlich der Verleihung
des Kleistpreises. Ergänzt wird der Band durch dokumentarisches Bildmaterial.