Angehörige Pflegende und Medizin stehen vor einer immensen Herausforderung wenn ein Mensch
durch Krankheit oder Unfall in den Zustand des Wachkomas gerät. Die existentiellen
Entscheidungsfindungen in diesem Grenzbereich des Lebens sind von hoher ethischer Brisanz und
gesellschaftlicher Relevanz. Karin Holzwarth stellt dar wie Musiktherapie als
beziehungstherapeutisches Angebot das Behandlungsspektrum bereichert und bei der Suche nach
Zugang zu Menschen im Wachkoma hilft. Seit alters her sind Klang und Musik bekannt als mächtige
Fahrzeuge in verändertes Bewusstsein. In den vergangenen beiden Jahrzehnten ist es vielen
musiktherapeutischen Verfahren gelungen diese Wirkkraft des Musikalischen differenziert und
reflektiert zur Anwendung zu bringen. Doch was meinen wir genau mit dem Begriff des
Bewusstseins? Was bedeutet es wenn ein Mensch als bewusstlos bezeichnet wird? Die Autorin
differenziert den Bewusstseinsbegriff phänomenologisch und fächert ihn auf aus medizinischem
philosophischem und psychologischem Blickwinkel. Über die Begegnung mit verschiedenen
spirituellen Methoden und psychotherapeutischen Verfahren nähert sie sich der Bedeutung des
Klangs für die Veränderung von Bewusstsein und Wahrnehmung in der Musiktherapie. Erleben und
Wahrnehmen des Menschen im Zustand des Wachkomas erfasst die Autorin als ein punktuelles
Selbsterinnern auf der Grundlage des einmal entwickelten Bewusstseins des Selbst und dessen
Strukturen. Die Arbeit kreist darum wie Musiktherapie das Fenster zu einem Moment des
Selbsterinnerns öffnen kann. In der Einzelfallanalyse einer über sechs Jahre dauernden
Musiktherapie mit einer Patientin im Langzeit-Wachkoma lotet die Autorin die Wege zu solch
besonderen Begegnungsmomenten aus. Mit Hilfe einer Untersuchung angelehnt an das morphologische
Verfahren der Beschreibung und Rekonstruktion versucht sie das zur Sprache zu bringen was ihr
selbst nach all den Jahren im therapeutischen Prozess nicht oder nicht mehr zugänglich ist. Das
ist der ganze Hintergrund für das Thema Musiktherapie bei uns zu Hause erklärt der Ehemann der
Patientin das Wohlfühlen das Ansprechen auf bestimmten Wegen dieses Gefühl die Gewissheit
das immer wieder Erleben: Ich kann auf diesem Weg plötzlich diesen Menschen erreichen. Die
Arbeit besticht sowohl durch ihre formale Qualität die Klarheit Phantasie und Kreativität der
Sprache die Logik in Aufbau und Durchführung als auch durch das umfangreiche Allgemein- und
Fachwissen in welches die Autorin ihre sachlich-empathischen Ausführungen einbettet.
Hervorzuheben ist das Vorgehen der Autorin ihre Reflexionen und Auseinandersetzungen sehr eng
am eigenen Erleben zu verorten. (Monika Nöcker-Ribaupierre Laudatio zur Verleihung des
Johannes Th. Eschen-Preises der Deutschen Musiktherapeutischen Gesellschaft Oktober 2010)