Frau Holle - eine Große Göttin? Die beliebte Geschichte von der alten Frau in den Wolken hält
so manche Überraschung bereit. Aus einem reichen Schatz von Frau-Holle-Mythen lässt Heide
Göttner-Abendroth das Bild einer Kultfigur lebendig werden die das Leben der Menschen über
Jahrtausende geprägt hat. Was wir als Märchen kannten begegnet uns nun bemerkenswert anders.
In ihren literarischen Nacherzählungen einflussreicher Mythen hat Heide Göttner-Abendroth
diesmal der Gestalt der Frau Holle und der Feenwelt der Dolomiten nachgespürt. Diese heute als
¿Kinder- und Hausmärchen¿ bekannten Mythen aus dem mitteleuropäischen Raum wurden einst ihres
religiös-spirituellen Gehalts beraubt. Obwohl lange noch ein lebendiger Glaube an die helfende
Macht der mütterlichen Göttin gepflegt worden war fand mit der Verschriftlichung der Mythen
endgültig eine Entfremdung von der matriarchalen Welt statt. Heide Göttner-Abendroth deckt
reale Orte und Namen in den Märchen wieder auf und gibt ihnen den historischen und spirituellen
Gehalt zurück. Die Figur der Frau Holle verkörpert den matriarchalen Jahreszeitenzyklus. Lange
widersetzte sie sich der Patriarchalisierung doch als sie diese nicht mehr aufhalten kann
nimmt sie ihren Segen mit sich fort. Auch am Mythenzyklus um das Feenvolk der Dolomiten lassen
sich einschneidende historische Veränderungen exemplarisch ablesen. Diesen zu Unrecht
vernachlässigten Erzählungen gibt Heide Göttner-Abendroth ihren Platz im System der Großen
Göttinnenmythen zurück. Eine Fundgrube für geschichtlich Interessierte Märchen- und
SagenliebhaberInnen für Eltern und Jugendliche WissenschaftlerInnen und Laien. ---- Leseprobe
Frau Holle Das ist das Rad der Zeit!' sprach Frau Holle. 'Es hat euch fortwährend älter
werden lassen bei seinem Gang und mich verwandelte es in die göttliche Greisin am Ende dieses
Jahres.' Mit diesen Worten warf sie ihren schweren Mantel ab legte die hohe Haube nieder und
gebot dem Mühlrad anzuhalten. Ächzend kam das Mühlrad zum Stillstand und Frau Holle setzte
sich oben darauf. 'Doch dieses Jahr ist um es beginnt ein neues!' rief sie von droben 'auch
ich will mich erneuern.' Und sie sagte den Zauberspruch: 'Was alt ist wird jung durch einen
Schwung!' Nun drehte sich das Mühlrad rückwärts. Schrumm sauste es einmal herum und nach
dieser Umfahrt war die Göttin ein Jahr jünger geworden. Schrumm ging die zweite Umfahrt
schrumm schrumm noch eine und noch eine und bei jeder Umdrehung wurde Frau Holle jünger.
[...] Sie sprang herab und glich sich nun selbst wie sie im März jeden Jahres das erste
Knospen des Frühlings in alle Lande bringt. Licht war ihr Schleier und Taubenfedern ihr Kleid.
[...] Die verjüngte Holle ergriff eine der Holden nach der anderen und warf sie auf das
Mühlrad sagte dazu den Spruch: 'Was alt ist wird jung durch einen Schwung!' Und schrumm
mahlte das Rad rückwärts machte eine nach der anderen wieder jung und schön wie zu Beginn des
Jahres. Auch Erdschlange geschah dasselbe im Wirbel der Speichen lief die Zeit für sie zurück
die bisher vergangen war ohne dass sie vergaß was sie gelernt und erfahren hatte. Glatt
wurden ihre Hände und schön ihr Antlitz Leichtigkeit fühlte sie wieder im Herzen. Das war das
Geschenk der Frau Holle dass sie ihre Priesterinnen verjüngte wie sich selbst. Doch eine
Letzte stand noch da ratlos schien sie und verloren. Zornig blickte die Göttin auf sie sprach
die strengen Worte: 'Schlecht hast du mir als Priesterin gedient! Faul warst du bei den
Menschen zu deren Hilfe ich dich aus-sandte auch Geschenke hast du angenommen gegen mein
Gebot. Verplaudert hast du deine Zeit und Geheimnisse enthüllt die du hüten solltest. [...]
Den Lohn dafür will ich dir geben!' Ohne Federlesens ergriff sie die untreue Priesterin warf
sie auf das Mühlrad und sagte dazu den Zauberspruch: 'Die Mühle mahlt was jung ist wird
alt!' Schrumm drehte sich das Rad nun wieder vorwärts und ehe sich die Treulose besann war
sie ein Jahr älter geworden. Bei der nächsten Umfahrt war schrumm wieder ein Jahr herum dann
kam noch eins dazu und noch eins rasend schnell verging die Zeit für sie. Die falsche Holde
schrie und bat wieder vom Rad herunter zu dürfen aber es half ihr kein Jammern und Weinen
das Mühlrad lief unaufhörlich um und mahlte sie zu einer steinalten Frau. Als die Göttin sie
herunterholte war sie krumm und faltig geworden die Arme hingen ihr welk am Leibe. So hatte
sie ihr Leben mit ihren Unarten vertan. Sie wurde zur Erde zurückgeschickt ...