Thilo Sarrazin löste 2010 mit seinem Buch Deutschland schafft sich ab. Wie wir unser Land aufs
Spiel setzen eine neue Debatte um Migration aus. Die aufgeregte Diskussion zeigt: 50 Jahre nach
der massiven Anwerbung - insbesondere türkischer Gastarbeiter - herrscht in Deutschland noch
immer keine Selbstverständlichkeit im Umgang mit dem Thema Einwanderung. Ein allgemeiner
Konsens über die Zuwanderungs- und Integrationspolitik liegt in weiter Ferne. Der öffentliche
Schlagabtausch in dem es insbesondere um Ängste vor 'Überfremdung' Verlust kultureller
Identität und Entwicklung von 'Parallelgesellschaften' geht läuft oftmals völlig an der
Realität vorbei. Seit einigen Jahren ist die deutsche Zuwanderungsbilanz negativ mehr Menschen
wandern aus als ein. Die individuelle Entscheidung der Auswanderer ist für die deutsche
Volkswirtschaft vor dem Hintergrund des aktuellen Fachkräftemangels nicht ohne Auswirkungen
denn sie sind häufig gut ausgebildet und wirtschaftlich erfolgreich. Ein Teil der Auswanderer
besteht aus Remigranten: Menschen die selbst oder deren Eltern nach Deutschland eingewandert
sind und die wieder in ihre alte Heimat zurückkehren - gerade in einer Zeit in der Deutschland
sich zunehmend als Einwanderungsland verstehen möchte. Warum kehren diese Menschen Deutschland
den Rücken? Was treibt sie an? Warum halten sie nicht an Deutschland fest? Mit ihrem Buch
Fremde Heimat Deutschland - Leben zwischen Ankommen und Abschied geben Murat Ham und Angelika
Kubanek Zu- und Auswanderern eine Stimme und spüren auch dem Phänomen der Remigration nach.
Besonders hervorzuheben ist dass Menschen aus drei Migranten-Generationen zu Wort kommen - von
türkischen Gastarbeitern die Mitte der 80er-Jahre zurückkehrten bis zu Migranten die sich
heute überlegen in welcher Gesellschaft sie ihren Lebensmittelpunkt setzen. In Reportagen
Porträts autobiographischen Texten von Migranten und Interviews stellen sie den Blick des
'einfachen' Arbeiters dem des Intellektuellen gegenüber. Durch verschiedene Schreibstile -
narrativ reportagenhaft fachlich-wissenschaftlich - zeichnet das Autorenteam mosaikartig die
Geschichte der Migration in Deutschland seit den 50er-Jahren nach. Das Buch ist ebenso eine
Reise durch Gedanken und Erinnerungen. Ham und Kubanek spannen dabei den Bogen bewusst weit:
Neben zahlreichen ganz normalen 'Alltagsmigranten' lassen sie auch die preisgekrönte
deutsch-türkische Autorin Emine Sevgi Özdamar die Tourismus-Managerin Nina Öger den
Unternehmer Kemal Sahin die Wissenschaftlerin Esra Özyürek den Hamburger Ex-Ganoven und Autor
Cem Gülay oder den deutsch-ägyptischen Islamkritiker Hamed Abdel-Samad über ihre Erfahrungen
zwischen den Welten berichten. Sie entlocken ihnen dabei mit ihrer besonderen Gesprächstechnik
erstaunliche und mitunter sehr private Bekenntnisse. Der Interviewteil wird abgerundet durch
Fachgespräche mit den Migrationsforschern Isabel Sievers und Hartmut Griese von der
Leibniz-Universität Hannover und dem Forscherteam Re-Turn des Leibniz-Instituts für Länderkunde
in Leipzig. Es entsteht ein fein gezeichnetes Bild der Motive für Aus- und Einwanderungen sowie
der deutschen Gesellschaft. Die Lektüre lädt dazu ein ein neues Verständnis von Migration in
einer globalisierten Welt zu entwickeln. Häufiges Migrationsmotiv ist keineswegs die Suche nach
Wohlstand sondern Migration ist oft ein Hilfeschrei eine Suche nach Verwurzelung
Geborgenheit Verlässlichkeit Treue und Liebe.