Fast wäre es nur eine Novelle geworden. Eine Geschichte die ich so ähnlich erlebt habe. Die
Hauptfiguren sind ein Mann der gerne mein Sugardaddy gewesen wäre und ich selbst vor meiner
Zeit als Prostituierte. Doch dann fällt mir meine Freundin Isolde ein eine "alte weiße Lesbe"
meine große Liebe. Ich brauche ihre Hilfe um diese Geschichte erzählen zu können. Isolde hat
ihre ganz eigene Sicht auf die Dinge denn sie war dabei. Und damit wird es schon zu
kompliziert für die Novelle und es wird unweigerlich zum Roman. In einem Roman ist eine eigene
kleine Welt enthalten. Sollte jedenfalls! Die Welt die dieser Roman enthält ist das Berlin
der später Nullerjahre die Welt der Luxushotels und Partys Fetisch-Orgien und öffentlichen
Sexclubs wo sich neureiche Erfolgs-Männer z.B. gewisse Haie aus der Immobilienbranche mit
Studentinnen in chronischen Geldnöten und Sugarbabes aus dem Prekariat treffen die ihre Reize
in der neuen Welt des Internets feilbieten. Außerdem kommt durch Isoldes Vergangenheit noch
die BRD der 60er 70er Jahre hinzu die sexuelle Revolution von 68 die sich so sehr
unterscheidet vom Feminismus der Nuller- und Zehnerjahre. Isolde Schmalhausen: eine
individualistische Künstlerin Kreuzberger Urgestein geflohen aus der westdeutschen
Kleinstadt. Ihre Kunst ist die Weberei ganz in der Tradition des Bauhaus wo dieses Gebiet
allein den Frauen überlassen blieb. Isolde hat sich auf die Raute kapriziert die geometrische
Form als Symbol für das weibliche Geschlecht. Isolde lebt fernab des Kunstbetriebs von kargen
Aufträgen privater Käuferinnen aus der Provinz der künstlerische Erfolg blieb ihr verwehrt.
Mit Manfred meinem Möchtegern-Sugardaddy führe ich eine auf einem Vertrag basierende
Beziehung. Doch von der monatlichen Apanage auf die ich hoffte kann keine Rede sein. Manfred
steckt mir seiner launischen Eitelkeit folgend unregelmäßig Geld zu von dem ich knapp leben
und studieren kann. Zusätzlich macht er mir kleine Geschenke nimmt mich mit auf Reisen.
Bedingungen sind außer Treue ständige Verfügbarkeit. Probleme gibt es von seiner Seite
schnell da er als umtriebiger Immobilienhai kaum Zeit hat das Verhältnis auszukosten. Vor
allem da er verheiratet ist es umständlich verheimlichen muss. Außerdem stellt er fest dass
seine Erektionsfähigkeit nicht mehr vorhanden ist. Er hatte dies zuvor auf seine Ehefrau
geschoben nun muss er davon ausgehen dass es an ihm selbst liegt. Trotzdem beendet er das
Verhältnis nicht sondern benutzt mich um vor seinen Freunden anzugeben als jemand
aufzutreten der so eine junge Frau besitzen und befriedigen kann. Isolde hat heftige
Ressentiments gegen Manfred und meine auf Geld basierende Beziehung zu ihm. Sie möchte nicht
dass dieser Mann oder überhaupt irgendein Mann unsere lesbische Liebe stört. Als Isolde
jedoch darauf spekuliert ihrerseits vom Kontakt zu dem Geldmann und potentiellen Mäzen für
ihre Kunst zu profitieren drängt sie mich ein gemeinsames Dinner mit Manfred zu organisieren.
Bei dieser Gelegenheit scheitert Isolde kläglich an Manfreds Desinteresse der an diesem Abend
eigentlich mit einer erotischen Ménage-à-trois mit zwei gleich jungen Frauen gerechnet hatte.
Dass ich im Anschluss trotzdem mit Manfred ins Taxi steige wertet Isolde als Verrat. Sie
verweigert daraufhin jeglichen Kontakt mit mir. Kurz darauf endet auch meine Beziehung zu
Manfred als dieser mich seinen Geschäftspartnern als Geliebte vorstellt jedoch ohne ihnen Sex
mit mir anzubieten. Die Lüge einer monogamen Romanze mit ihm ist mir unerträglich. In der
Konsequenz folgt mein Entschluss in die Prostitution zu gehen. That¿s it. That¿s the story.
Ich erzähle diese Geschichte aus meiner Perspektive im Jahr 2019. In diesem Jahr bin ich als
geoutete Prostituierte in der deutschen Öffentlichkeit bekannt geworden werde in der Presse
und in Talkshows herumgereicht schreibe eine aufsehenerregende Kolumne in der WELT und habe
durch all dies nun die Option auf einen Programmplatz bei renommierten Verlag erhalten für
einen Roman. Währenddessen kommt es zu einem öffentlichen Eklat mit einem Talkmaster der mich
der Lüge bezichtigt nachdem ich ihn in einer Kolumne angegriffen habe. Die WELT wirft mich
raus und während junge Feministinnen im Internet ihre Solidarität zu mir entdecken erlebe ich
den Verrat im Kleinen im Medienbetrieb. Der Text ist eine Mischung aus Tagebuch Briefroman und
Dialog. Die erzählenden Personen Isolde und ich sind unzuverlässige Zeugen deren
widersprüchliche Erinnerung kein Garant für Wahrheit ist. Nicht umsonst ist der Roman Claas
Relotius gewidmet. Zur Entstehung: Der Vorschlag von Florian Havemann eines meiner erotischen
Abenteuer die Erlebnisse mit einem Mann aus einem Sugardaddy-Forum als Grundlage für einen
heiteren Roman zu nehmen entfachte meine Phantasie. Es war konkret es war übersichtlich es
schien machbar - im Gegensatz zu dem fragmentarischen Roman-Großprojekt an dem ich seit Jahren
laborierte. Ich sollte mich selbst zur Romanfigur machen autofiktional. Eine schillernde Figur
die ich aus mir gemacht habe damit es kein anderer tut. Und Florian Havemann meinte es in
diesem Roman auch eine alte weiße Lesbe geben deren Part er übernahm. Warum bleibt unser
Geheimnis. Flori legte vor ich legte nach. Es ging hin und her. Fast jeden Tag schickten wir
uns gegenseitig Texte. Ich schrieb schon deshalb damit ich mindestens genauso viel Anteil an
unserem Buch hatte wie er! Und wir sprachen natürlich ständig über die Story. Entwickelten sie.
Für manche Themen Szenen gab Florian mir einen konkreten Schreibauftrag wenn es Dinge waren
die ich erlebt hatte und die nur ich authentisch erzählen konnte. Zum Beispiel den Teil des
Interpretier aber auch die Enthüllungen über meine Jugend - Dinge über die ich von mir aus
nicht gewagt hätte zu schreiben und die weit über das schillernde Abziehbild der Hure
hinausgehen als intime Offenbarung. Wir hatten das nicht geplant der Text aber erforderte es.
Er ergänzte oder lektorierte aber behutsam. Fast nichts. Er war der erfahrenere
Schriftsteller von uns beiden. Ich hatte an seinen Stellen nichts zu lektorieren und musste
ihn auch nur selten um bestimmte Kapitel bitten die meiner Ansicht nach fehlten. Aber unsere
stundenlangen Gespräche regten ihn ebenso an wie mich. Etwa der lange Austausch über das
Phänomen des männlichen Begehrens ist ein direktes Ergebnis unserer Gespräche. Und es machte
uns Spaß! Es ging so weit dass wir Dialoge zwischen unseren beiden Figuren gemeinsam
vierhändig auf einer Tastatur schrieben. Wir hatten einfach unseren gemeinsamen Ton gefunden
waren buchstäblich im Einklang miteinander. Das war die Folge des ständigen über Jahre hinweg
gehenden Dialogs zwischen uns beiden in einer Liebe die vor allem aus Gesprächen besteht. Es
war von Anfang an eine Idylle. Hanna Lakomy März 2023