Der Eiserne Vorhang hatte Löcher: Auch ins sowjetische Georgien tröpfelten die Lieder der
Stones und Sinead O'Connor der Sex Pistols und Jethro Tull Bilder von Wolkenkratzern und
Marilyn Monroe auf Reklametafeln Filmschnipsel und ein Hauch der Konsumwelt. Die offizielle
Kulturpolitik versuchte den dekadenten Westen aus dem Leben ihrer Bürger fernzuhalten
gleichzeitig kam man nicht umhin wenigstens in homöopathischen Dosen den westlichen Glamour
zuzulassen eine generöse Weltläufigkeit zu simulieren. Dieses dialektische Kulturdiaphragma
hatte eine ganz eigenartige Wirkung auf die junge widerspenstige Literatur: Wurde Pop aus
ästhetischen und eskapistischen Gründen akzeptiert und geliebt stand er gleichzeitig unter
Verdacht nur Beruhigungspille und ein neues falsches Versprechen (wie die frühsowjetische
Avantgarde) einer vereinnahmenden Macht zu sein. Letztlich steht er aber bis heute - wenn junge
Menschen mit Europafahnen auf den Straßen von Tblisi demonstrieren - für ein Gegenmodell zum
sowjetisch-russischen Zwangssystem das sich als Utopie längst erschöpft das sich ebenso lange
vom Versprechen einer materiell besseren Zukunft gelöst hat und nur noch von einer
chauvinistischen nationalen Erzählung und deren lokalen Ablegern lebt. Die in Deutschland
lebende georgische Lyrikerin Bela Chekurishvili hat 44 Gedichte zeitgenössischer Dichterinnen
und Dichter unterschiedlichster Generationen ausgewählt die dieses Spannungsfeld
west-östlicher Begegnung vor der Folie des gewalttätigen 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts
kritisch reflektieren.