Die Volksgemeinschaft hatte seit dem Ersten Weltkrieg in Deutschland in nahezu allen Parteien
politische Konjunktur. Aber während der Begriff bei den Sozialdemokraten beispielsweise ein
Synonym für die inkludierende Einheit aller Schaffenden darstellte war die Volksgemeinschaft
bei der Rechten insbesondere bei den Nationalsozialisten vor allem durch Exklusion bestimmt.
Nicht so sehr die Frage wer zur Volksgemeinschaft gehörte beschäftigte sie als vielmehr wer
nicht zu ihr gehören durfte allen voran die Juden. Deshalb besaß der Antisemitismus für die
praktische Volksgemeinschaftspolitik des NS-Regimes einen zentralen Stellenwert. Die
bürgerliche Zivilgesellschaft in eine rassistische Volksgemeinschaft zu verwandeln konnte
nicht per Führererlass oder Gesetz erfolgen. Michael Wildt beschreibt diese Transformation als
einen politischen Prozess und untersucht die Ereignisse nicht nur innerhalb der großen Städte
sondern gerade in der Provinz in den Dörfern und kleinen Gemeinden. Volksgemeinschaft
existiert nicht sie wird hergestellt. In der politischen Praxis vor Ort hieß das soziale
Distanz herzustellen jedwede Solidarität und Mitleid mit den Verfolgten zu stigmatisieren um
die Juden zu isolieren und für rechtlos ja vogelfrei zu erklären. Der Boykott vom 1. April
1933 blieb in den kleinen Orten keineswegs auf einen Tag beschränkt sondern entwickelte sich
zu einem Instrument der lokalen Partei- SA- und HJ-Gruppen aggressiv und gewalttätig gegen
jüdische Kaufleute Bürger Nachbarn wie auch gegen diejenigen vorzugehen die noch Kontakt zu
Juden hielten. Wer mittat musste strafrechtliche Ahndung nicht fürchten im Gegenteil die
Gewalttäter konnten sich der heimlichen wie offenen Komplizenschaft vieler anderer sicher sein.
In den Gewalttaten ließ sich die eigene Übermacht erfahren. Die Herstellung der
Volksgemeinschaft bedeutete sowohl die Zerstörung der bürgerlichen Gesellschaft als auch
Partizipation als rassistische Selbstermächtigung: Alle Gewalt geht vom Volke aus.