Jiøí (Georg) Langer (1894-1943) kannte den Chassidismus wie kaum ein anderer. Anders als seine
berühmteren Chronisten Martin Buber Simon Dubnow oder Gershom Scholem erlebte er ihn aus
»erster Hand«. Was für eine Geschichte: Ein Sohn aus gutem bürgerlichen Prager jüdischen Hause
wird zum Aussteiger verschwindet im Sommer 1913 heimlich um sich in der hintersten Provinz
einer tiefreligiösen Bewegung anzuschließen die der jüdischen Aufklärung ein Dorn im Auge ist.
Völlig verwandelt kehrt er 1915 zurück wie sich sein Bruder erinnert: »Der Vater teilte mir
fast erschrocken mit dass Jiøí heimgekehrt war. Das Entsetzen verstand ich als ich den Bruder
sah. Er stand mir in einem schäbigen kaftanähnlich geschnittenen schwarzen Überrock gegenüber
der [...] bis zum Boden reichte und auf dem Kopf hatte er einen runden breiten Hut aus
schwarzem Plüsch [...] Die Wangen und das Kinn waren er mit einem rötlichem Bart bewachsen und
vor den Ohren hingen ihm wie Spiralen gelockte Haare bis zu den Schultern die Schläfenlocken.«
Nach langen Aufenthalten unter den Chassidim in Belz findet Jiøí Langer nach dem Ersten
Weltkrieg in das bürgerliche Prager Leben zurück ohne seinen tiefen Glauben aufzugeben. Er
verbindet sein reiches Wissen über jüdische Traditionen mit der Moderne: so mit Sigmund Freud
und Albert Einstein. Seine Forschungen münden 1923 in das deutsch verfaßte Buch »Die Erotik der
Kabbala«. 1937 kehrt er in »Die neun Tore« zurück zur Welt der Chassidim wie er sie seinem
Freund Franz Kafka immer wieder geschildert hat: »Die Legenden erzählten über Heilige über
Rabbiner die im Stande sind solche Wunder zu vollbringen. Nur daß diese Heilige in fast
intimen Beziehungen zu Gott stehen sie erlauben sich ihm gegenüber beinahe frech zu sein so
daß ein Wunder Gottes letztendlich wie eine Nachbarschaftshilfe aussieht. Sie erzählen über
chassidische Menschen diese sonderbaren Kinder Gottes die infolge ihrer unermeßlichen
Frömmigkeit das seltene Privileg haben daß sie sich mit Hilfe ihrer Heiligen von der
himmlischen Gunst alles ausbitten dürfen was sie zum Leben brauchen.« (Franti¿ek Langer) Als
die Deutschen 1939 in Prag einmarschieren steht der weitgehende Untergang der jüdischen Welt
bevor. Unter dramatischen Bedingungen gelingt Jiøí Langer auf einem Auswandererschiff über die
Donau die Flucht nach Palästina wo er beginnt auf Hebräisch zu schreiben. 1943 stirbt er an
den Spätfolgen seiner Flucht in Tel Aviv. Der Weltliteratur hinterläßt er einen Schatz: »Mit
'Die Neun Tore' hat er sich [...] ein prächtiges Denkmal errichtet. Es ist ein [...] Werk
dessen sich die tschechische Literatur rühmen wird und gleichzeitig ist es ein authentisches
Dokument der Geschichte der Juden. Aber als hätte das Schicksal dem Buch noch einen anderen
Sinn zugesprochen als hätte die Geschichte ihm noch eine andere Mission bestimmt: es wurde zu
einem tragischen und traurigen Denkmal über dem großen düsteren chassidischen Friedhof. Über
den chassidischen Siedlungen über den Gegenden Dörfern und Städtchen in denen sie gelebt
hatten ...« So erinnert sich der gefeierte tschechische Dramatiker Frantisek Langer in seinem
sehr persönlichen Vorwort an seinen Bruder Jiøí. Nachdem Jiøí Langers »Die neun Tore« bisher
nur verstümmelt - stark gekürzt und bearbeitet - vorliegt hat Kristina Kallert es neu aus dem
Tschechischen übersetzt. Damit kann eines der Hauptwerke jüdischer Literatur und jüdischen
Geistes im 20. Jahrhundert erstmals vollständig auf Deutsch gelesen werden.