Quentin Massys' Annenaltar von 1509 wirkt so traditionell wie ehrwürdig. Eingebettet in die
Feier der Nachkommenschaft der heiligen Anna sind aber zwei Neuerungen die auf sozial- und
medienhistorische Verwerfungen um 1500 verweisen: die Emergenz der Kernfamilie und eine
rhetorisch versierte Kulturtechnik des Sehens. Die Studie nähert sich Massys' erstem großen
Auftragswerk in einer detaillierten Analyse und macht es zum Ausgangspunkt familien- und
medienhistorischer Untersuchungen. Ausgehend von der paradoxen Konstellation dass das Motiv
der Heiligen Sippe in einer Zeit besonders beliebt wird in der die Bedeutung der Kleinfamilie
zunimmt fragt Holger Kuhn nach veränderten Familienmodellen der Umwandlung von Vater- und
Mutterrollen sowie nach dem Zusammenhang von sexueller Reproduktion und monetärer Liquidität.
Zudem stellt die Studie den Übergang vom Triptychon zum Tafelbild in ein neues Licht. Dabei
wird ein Bogen zwischen jüngeren Forschungen zur Mediengeschichte klappbarer Bildträger und zur
neuzeitlichen Bildrhetorik gespannt. Denn Massys erprobt im Medium des Triptychons eine
Kulturtechnik des Sehens die die mechanische Beweglichkeit der Bildfelder durch die des
Blickes ergänzt. Die bildrhetorischen Wendungen der Antwerpener Malerei nach 1500 werden lesbar
als Symptome verabschiedeter medialer Konfigurationen.