Heute sind Titel an und neben Kunstobjekten in Museen Sammlungen Ausstellungen und Katalogen
sowie ihre Verwendung in Kunstkritik kunstwissenschaftlichem Diskurs und medialer
Berichterstattung allgegenwärtig. Das war nicht immer so: Lange Zeit waren Gemälde und
Bildhauerarbeiten mit traditionellen Bildmotiven aus Religion Geschichte und Mythologie auch
ohne Betitelung hinreichend verständlich. Weshalb ab wann und unter welchen Begleitumständen
entstanden dennoch Titel? Die sogenannten livrets - die Ausstellungskataloge der Pariser
Académie royale de peinture et de sculpture - geben Antwort auf diese Frage. Die 1648 unter der
Herrschaft Ludwigs XIV. gegründete Kunstakademie veranstaltete ab dem letzten Viertel des 17.
Jahrhunderts bis zu ihrer Auflösung im Zuge der Französischen Revolution zunächst unregelmäßig
ab 1737 aber alle zwei Jahre Ausstellungen ihrer Mitglieder im sogenannten Salon de Paris.
Aufgrund ihrer langen kontinuierlichen Publikationsreihe bilden die livrets mit dem
Verzeichnis der jeweiligen Ausstellungsobjekte eine hervorragende Quelle zur diachronischen
Untersuchung der Titelentstehung. Diese ersten Ausstellungskataloge zeitgenössischer Kunst in
Europa waren bisher nicht Gegenstand einer systematischen Auswertung unter dem Gesichtspunkt
der Titelgebung. Die Titel-Genese zeigt einen schrittweisen Übergang von ausführlichen
Beschreibungen der ausgestellten Arbeiten hin zu prägnant gefassten Kurztiteln: Das Aufkommen
neuer bis dahin unbekannter Bildmotive die Entwicklung des Kunstmarkts und die beginnende
Kunstkritik verlangten und begünstigten die Entwicklung kurzer leicht lesbarer Titel die eine
rasche Identifikation des Werkinhalts sowie den kunsttheoretischen Diskurs über Künstler und
Werk erleichterten: Ab Mitte des 18. Jahrhunderts verstand die kunstinteressierte
Öffentlichkeit die Benennung der Ausstellungsobjekte im Salon-Führer als Titel - der Titel war
bei den Bildern angekommen. Angesichts der überragenden Stellung der Académie im europäischen
Kunst- und Kulturleben kam ihr eine Vorbildwirkung zu: Salon und Titelgebung bereiteten den Weg
nicht nur für die ersten Museen in Frankreich sondern darüber hinaus für den Beginn des
modernen Kunstbetriebs.