Zur Sprache kommt Architektur in Musils Roman auf mannigfache Weise: als weithin sichtbare
Bauform von Häusern oder ganzen Stadtbezirken als - einmal dekorative einmal funktionale -
Innenarchitektur von repräsentativen oder auch intimen Räumen. Architektur ist im »Mann ohne
Eigenschaften« nicht nur Motiv oder Thema Schauplatz oder Hintergrund des erzählten Geschehens
sondern immer auch ein 'Dispositiv': eine determinierende Größe oder gar Möglichkeitsbedingung
für die erzählte und erlebte Welt. Gefühle Empfindungen und Stimmungen der einzelnen Figuren
manifestieren sich in den atmosphärischen Valeurs der privaten und öffentlichen Räume die sie
umgeben in denen sie sich bewegen und eingerichtet haben. Entscheidungen treffen oder
vermeiden die in Kakanien maßgeblichen Akteure an exponierten Schauplätzen der Politik oder
auch in unzugänglichen Kanzleien und zum systematischen Denken oder auch zum regelrechten
Verrücktsein kommt man zuvorderst in institutionellen Räumen und zweckdienlichen Bauensembles
wie der Bibliothek und Psychiatrie. Diese Architektonik des Fühlens und Wahrnehmens des
Handelns und Denkens bestimmt nicht nur das Figurenarsenal sondern auch die narrative Struktur
des Romans. Dabei erscheinen widersprüchliche Funktionen des Gebauten ineinander verflochten.
Architektur bildet ein Modell für das historisch Vorgeprägte das die privaten Lebensabläufe
und öffentlichen Dynamiken steuert und abweichende Wege ins Freie versperrt. Selbst
Reformbemühungen oder gar Erlösungshoffnungen laufen Gefahr zu erstarren wenn sie in
Programmen niedergelegt werden und sich in architektonischen Konstruktionen materialisieren.
Dem widersetzt sich Musils Schreibprozess der ein Ende aller 'Gewohnheit' ja aller
'Behaustheit' in Aussicht stellt - eine 'Architektur ohne Eigenschaften' die einer offenen
utopischen Lebensform entspräche. Tritt Ulrich zuletzt aus 'dem Haus' einer
konventionalisierten Sprache heraus und in das Licht hinein dann endet der Roman abseits aller
architektonischen Dispositive - in einer Sphäre jenseits der Differenz von Innen und Außen
Eigenem und Offenem. Diesem Fluchtpunkt von Musils Schreiben will dieses Buch gerecht werden:
durch essayistische Kapitelkommentare die die Bauform des Ganzen aus der Anlage des Partiellen
und des Details erschließen sollen.