Ausgehend von einer Kritik der sozialen Wirklichkeit des Libanon entwickelt Nassif Nassar (geb.
1940) eine politische Philosophie deren Relevanz über den arabischen Raum hinausgeht. Sein
Konzept des Liberalismus mit Gemeinsinn fordert zum einen vom Einzelnen ein kritisch-offenes
Vernunftdenken ein das in Abgrenzung zur Absolutheit partikular-gemeinschaftlicher
Wahrheitsansprüche bescheiden auftritt. Es soll seine Postulate aus Respekt vor und im
alltäglichen Dialog mit den Überzeugungen anderer sowie im Abgleich mit
gesamtgesellschaftlichen Interessen kontinuierlich kritisch hinterfragen. Zum anderen
verteidigt dieser Liberalismus individuelle Rechte deren Ursprung Nassar auf ein universelles
Menschsein zurückführt. Aus diesen Prämissen folgt sowohl der Respekt individueller Freiheiten
als auch ein staatlich-institutionell gestütztes solidarisches Handeln unter gleichgestellten
Personen. Dieses Handeln ist zudem auf sieben intrinsische Werte und damit über Rechtsansprüche
hinaus auf ein holistisches Gerechtigkeitsverständnis ausgerichtet. Grundlage einer in diesem
Sinne liberal-gemeinsinnigen Gesellschaft ist ein schulischer Philosophieunterricht in dem der
Einzelne in Konversation mit der Philosophiegeschichte zum kritisch denkenden sowie über die
Grenzen seiner partikularen Gemeinschaft hinaus solidarisch handelnden Staatsbürger ausgebildet
wird. Dieses Buch ist das erste das sich mit der Philosophie Nassif Nassars auseinandersetzt.
Es zeigt welch wichtige Rolle (selbst-)kritisches Denken in zeitgenössischen arabischen
Diskursen spielt. Zudem illustriert es wo die 'westliche Philosophie' in Nassars Ideenwelt
Anschlussmöglichkeiten findet. Denn es scheint dass in Zukunft auf bestimmte Probleme die
etwa globale Prozesse des sozialen Wandels oder der Verlust sozialer Kohäsionen mit sich
bringen überhaupt nur noch eine transkulturell ausgerichtete Philosophie plausible Antworten
liefern kann.