Das offizielle deutsche Privatrecht im 19. Jahrhundert ist ein Staatsprivatrecht gewesen. Es
war gegen die als gefährlich wahrgenommene Gesellschaft gerichtet und sollte die Rechtssubjekte
zum »seeing like a state« (James S. Scott) zurichten. Diese Auffassung des Rechts blockierte
so die These der vorliegenden Studie sowohl das Potenzial zur Selbstorganisation des Rechts
durch die und vonseiten der Gesellschaft als auch dessen Beobachtung als Komplex von »rules we
live by« (Lorraine Daston). Dieser Gedanke wird im Vergleich mit dem anglo-amerikanischen und
dem französischen Privatrecht entfaltet. Karl-Heinz Ladeur zeigt kenntnisreich auf wie das
Privatrecht des 19. Jahrhunderts zunächst eine exzessive Symbolisierung von Einheit in Gestalt
der unbeweglichen »Begriffsjurisprudenz« hervorbringt. Am Ende des Jahrhunderts wird diese von
der beweglich gewordenen an der Macht orientierten »Zweckjurisprudenz« abgelöst. Beide
Lesarten bleiben jedoch einseitig auf den Staat fokussiert. Dagegen erlaubt das vom Autor
ausgearbeitete Verständnis von »Recht als Kultur« die Gesellschaft als »knowable« (Lawrence
Rosen) und als praktischen Handlungskontext zu erleben. In diesem Kontext ist umgekehrt auch
der Beitrag der Kultur zur Entfaltung des Rechtssubjekts zu sehen der in der französischen
Revolution explizit durch die politische Erziehung in der »École Normale« erbracht werden
sollte. In Deutschland wurde dies eher implizit durch den Bildungsroman realisiert der das
Medium der Selbstentwicklung auch des Rechtssubjekts geworden ist. Das Buch zeigt darüber
hinaus dass den auf (staatliche) Einheit eingestellten Rechtskonzepten des 19. Jahrhunderts
schon damals ein nach wie vor interessantes an Hegels Begriff orientiertes Möglichkeitsdenken
hätte entgegengesetzt werden können: ein Denken der Durcharbeitung der Kollisionen multipler
gesellschaftlicher Regeln welches das Recht methodisch für das Operieren mit Differenzen vor
Einheit in einer normativen Kollisionsordnung pluraler Regeln geöffnet hätte.