Die Rechtswissenschaft hat sich in den letzten zweihundert Jahren zu einem für
Nichtjurist:innen verschlossenen Denkgebäude entwickelt. Formalismus und Systematik finden
keinen Weg mehr soziale Wirklichkeit und Lebensverhältnisse methodisch sicher einzubeziehen.
Dabei werden seit Mitte des 19. Jahrhunderts kontinuierlich Versuche unternommen juristisches
und sozialwissenschaftliches Denken näher zueinander zu rücken. Lautmanns Buch zeichnet diese
Diskurse vom Anbeginn bis zur Gegenwart nach und unternimmt eine Deutung ihres Misslingens.
Insbesondere die deutsche Rechtsdogmatik zeichnet sich durch einen zugespitzten weltweit
beispiellosen Normativismus aus. Dabei wurde dessen Hermetik immer wieder infrage gestellt. An
den damaligen Debatten beteiligten sich neben vielen anderen die berühmtesten Köpfe zu nennen
nur Rudolf v. Jhering Max Weber Gustav Radbruch Carl Schmitt Helmut Schelsky oder Niklas
Luhmann. Insbesondere kurz nach 1900 sowie um 1970 wurde heftig über das Verhältnis von Rechts-
und Sozialwissenschaften gestritten - jedoch obsiegte beide Male die dogmatische Tradition.
Seit etwa 2000 erheben sich erneut Stimmen die fordern den Wirklichkeitsbezug der
Rechtsauslegung zu verstärken und die sogenannten Nachbarwissenschaften in der Jurisprudenz
besser zu berücksichtigen. Lautmanns Analysen schildern gegliedert nach den
zeitgeschichtlichen Epochen die Ideen und Exponenten eingeordnet in ihren politisch-sozialen
Kontext. Es handelt sich um ein Überblickswerk zu einem großen Thema mit einer schier
unübersehbaren Literatur. Eigene Standpunkte deutet der Autor am Ende im umfangreichsten
Kapitel seines spannenden Durchgangs an. Auch Nichtfachleute können hier nachvollziehen wie es
dazu gekommen ist dass juristisches Tun in der Bevölkerung als unzugänglich und weltfremd
empfunden wird.