Noch vor wenigen Jahren stand die Identitätspolitik mit ihrer Kritik an Rassismus und anderen
Formen der Diskriminierung im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit. Betroffene fanden
zueinander und forderten gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft. Themen wie die
deutsche Kolonialgeschichte oder die rassistische Durchsetzung der Alltagssprache waren in
aller Munde bislang gültige Ordnungskriterien wurden in Frage gestellt. Dann begann sich das
politische Gewicht zu verschieben. 'Woke' wurde zu einem Schimpfwort von rechts und in Praxis
und Methoden identitätspolitischer Anliegen zeigten sich Schwächen: ein unterkomplexes
Verständnis der Performativität von Sprache die Missachtung wissenschaftlicher Standards die
Ausklammerung ökonomischer Zusammenhänge und die Reproduktion zentraler neoliberaler
Versatzstücke. Spätestens seit dem Massaker der Hamas in Israel am 7. Oktober 2023 und seiner
antisemitischen Relativierung scheinen breite Teile der Bewegung auf den politischen Bankrott
zuzusteuern. Wie konnte es dazu kommen? Lars Distelhorst nimmt die philosophischen
Grundannahmen und Methoden der Identitätspolitik unter die Lupe und wagt einen Neuansatz. Eine
Umkehr im Denken lohnt sich denn die neoliberale Ökonomisierung und ihre Machtmechanismen sind
nicht nur tief in unsere Subjektivität vorgedrungen sondern haben die bisherigen
Errungenschaften der Identitätspolitik auch erfolgreich vereinnahmt. Dagegen gilt es Identität
neu zu politisieren - als Werkzeug einer emanzipativen Kritik.