Nachdem am 26.04.1986 Reaktorblock 4 des Kernkraftwerkskomplexes Tschernobyl aufgrund eines
fatalen Zusammenspiels von menschlichem Versagen einer mangelhaften Sicherheitskultur in der
sowjetischen Atomenergie und Konstruktionsfehlern des Reaktortyps explodierte wurden tagelang
hochgiftige Radionuklide aus dem brennenden Reaktorkern in die Atmosphäre getragen. Diese
verseuchten nicht nur Teile der Ukraine und Weißrusslands sondern wurden von Windströmungen
über großen Teilen Europas verteilt. Auch Deutschland blieb davon nicht verschont insbesondere
über Südostdeutschland ging radioaktiver Regen nieder. Dieser traf auch die Universitätsstadt
Erlangen in Bayern und führte zu vielfältigen Reaktionen und Entwicklungen in der Bevölkerung
die so eine der Thesen dieser Arbeit besonders gut am Beispiel Erlangens untersucht werden
können. Erlangen war nicht nur einer der wichtigsten Entwicklungsstandorte des deutschen
Kernkraftwerksherstellers KWU (Kraftwerk Union AG heute Areva) und ein bedeutender
Hochschulstandort sondern auf Betreiben der Stadtverwaltung wurde es auch das Zentrum einer
kommunalen Tschernobyl-Selbsthilfegruppe die regional eine führende Rolle im Umgang der
Behörden mit der Katastrophe einnahm. Darüber hinaus politisierte Tschernobyl weite Teile der
Bevölkerung und insbesondere Mütter die sich daraufhin zum Verein Mütter gegen Atomkraft
zusammenschlossen. Diese spannende Akteurskonstellation ihr Handeln und ihre Interaktionen
stellen die Grundlage dieser Arbeit dar. Sie wird ergänzt von umfangreichen vor allem auf ca.
2500 ausgewerteten Zeitungsartikeln basierenden Informationen zur öffentlichen Debatte um
Tschernobyl aber auch um die daraus resultierende Probleme des radioaktiven Klärschlamms und
der verstrahlten Molke deren Handhabung durch die Landes- und Bundesregierung einem Krimi
gleicht. Des Weiteren wird der teilweise gewaltsame Widerstand breiter Teile der Bevölkerung
gegen die damals im Bau befindliche Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf beleuchtet der sich
durch Tschernobyl intensivierte. Es wird argumentiert dass Tschernobyl sich in Deutschland vor
allem als psychologische Katastrophe entfaltete da die sinnlich nicht wahrnehmbare Strahlung
in Kombination mit dem ungeschickten Handeln der damaligen Bundes- und Landesregierungen zu
einem bis dahin nicht gekannten Spektrum an Ängsten führte. Durch die gute Zugänglichkeit von
Quellen von Kernkraftvertretern und -gegnern sowie der bedeutsamen Arbeitsgruppe der Stadt
Erlangen konnte der damalige Kampf um die Kernkraft in all den Facetten beleuchtet werden die
so auch in der gesamtdeutschen Debatte zu beobachten waren.