In einem leerstehenden Haus findet die Herausgeberin ein Typoskript. Sie erinnert sich: Was
sich da vor mir auffächerte war zweifellos ein Prosa-Text. Ich las hier und da las 'Fenster
auf' und 'Fenster zu' entsinne mich dass ich auf 'grellgelb blühende Forsythien' stieß auf
'blanke Messinggriffe' auf 'antipodisch weiß' auf 'Graugänse' wiederholt auf 'Graugänse' und
immerzu auf Wasser Bäume Blätter auf kahle Bäume belaubte Bäume grüne Blätter welkende
Blätter Wolken und Wolken und Sonne und Sonne. Ich traf auch auf Namen wie Montaigne Émile
Gallé Franz Kafka Elias Canetti. Und in einem redundanten Geflecht von immer wieder
aufblinkenden Wörtern las ich: Aurora Fluss Tastatur Obama Eos Iran Rosa Lampe. Ganz
zuunterst entdeckte ich drei spärlich beschriftete Blätter: ein Deckblatt ein Blatt mit
Zitaten ein Inhaltsverzeichnis. Auf dem Deckblatt ... 'Aurora-Protokolle'.Ein Jahr lang von
Januar bis Dezember setzt jemand sich vor Tagesanbruch an das große Ostfenster des weißen
Hauses am Fluss und verfolgt was bis zum Aufgang (oder Nicht-Aufgang) der Sonne am Himmel auf
der Erde und im eigenen Kopf sich abspielt und entwickelt. Vom Schreibprogramm einer
Selbstvergessenheit ... am Tropf rosaroter Himmelserscheinungen im frühen Morgengrauen ist die
Rede. Faszinierend zu beobachten wie die Herausforderung eines solchen Vorsatzes mit langem
Atem in einer nicht abreißenden Verkettung poetischer Protokolle - ruhig frei präzise
aufmerksamkeits-intensiv - gemeis- tert wird. Beschreiben wie jeder Tag neu beginnt. Zu
welchem Ende?