Durch ihre Verstrickungen mit dem NS-Regime wurden die Geisteswissenschaften nicht nur
moralisch diskreditiert sondern auch in ihrer wissenschaftlichen Integrität beschädigt. Die
Öffnung gegenüber völkischen Irrationalismen erzwang die Aufgabe akademischer Standards denn
Fakten wurden vielfach durch gefühlte Wahrheiten ersetzt. Auch die Musikwissenschaft reagierte
auf das von der Politik propagierte Verständnis des Nationalsozialismus als »angewandte
Rassenkunde« wobei man sich bei der Hierarchisierung der Menschheit selbst an die Spitze
setzte. Einige Musikwissenschaftler verlegten sich auf antisemitische Diffamierungen aber in
den Mittelpunkt des Fachdiskurses rückte die Suche nach musikalischen Äquivalenten für die
vermeintlich konstanten leiblich-seelischen Eigenheiten der »nordischen Rasse«. Dies war
verbunden mit der Frage nach dem Deutschen in der Musik ohne völlig deckungsgleich zu sein da
die konsequente Anwendung der Theorien auch etliche Heroen der deutschen Geschichte als
»rassisch« fragwürdig erscheinen ließ. Die von Widersprüchlichkeiten und methodischen
Inkonsequenzen begleitete Suche nach überzeitlichen Wesensmerkmalen der Musik von germanischer
Vorzeit bis in die Gegenwart erfasste weite Teile der Musikwissenschaft. Die Bereitschaft sich
dem Regime anzudienen war groß aber die Tiefe der Durchdringung der Texte fiel höchst
unterschiedlich aus:Einige Autoren banden lediglich opportune Schlagworte ein andere
übernahmen die vornehmlich intuitive Betrachtungsweise modischer Rassenlehren wieder andere
stellten eingehende Ãœberlegungen zur Professionalisierung des Bereichs an.