Das eigensinnige Kind ist das kürzeste Märchen in der Sammlung der Brüder Grimm und zugleich
eines der schrecklichsten. Es handelt vom kurzen Leben eines Kindes dessen Eigensinn von der
alleinerziehenden Mutter bis über den Tod hinaus gebrochen wird. Für den
Literaturwissenschaftler und Philosophen Wolfram Ette wird das Märchen zur ersten Station einer
essayistischen Besichtigungstour die sich für die komplexen Verdrängungs- und
Unterdrückungsverhältnisse im zeitgenössischen Dreieck von Kind Familie und Gesellschaft
interessiert. Für seine Galerie des Eigensinns greift Ette nicht nur auf Material aus
kanonisierten Kinderbüchern literarischen Klassikern und antiken Texten zurück. Ins Blickfeld
geraten auch die vielfältigen Dramen zwischen Eltern und Kindern die der Alltag zu bieten hat
sowie die dazugehörigen beschädigten Lebensläufe bis hin zum Amokläufer. Er untersucht die
unausgesprochenen gesellschaftlichen Konflikte die sich in diesen Szenen des Eigensinns
abgelagert haben und fragt danach welche gesellschaftlichen Gewaltverhältnisse sie spiegeln
maskieren unterstützen. In diesem Neben- und Übereinanderhalten von Familien- und
Gesellschaftsstruktur erläutern sich beide gegenseitig und erinnern vor allem an eines: Die
Mikroräume des Sozialen sind Keimzellen für Gesellschaft. In welcher wollen wir leben und was
bedeutet dies für unser Alltags- und Familienleben?