Buchtipp zum Indiebookday 2024: Moritz Hildt empfiehlt Lawrence Ferlinghetti "Notizen aus Kreuz
und Quer. Travelogues 1960-2010" (...) Seine gesammelten Reisenotizen die sage und schreibe
fünfzig Jahre umfassen sind nun erstmalig in Deutscher Übersetzung im Kupido Literaturverlag
erschienen. Notizen aus Kreuz und Quer. Travelogues 1960-2010 ist ein herrliches Buch geworden
nicht zuletzt wegen der Entscheidung des Verlags Ferlinghettis eigene Zeichnungen als
Illustrationen zu verwenden. Aber auch abgesehen vom gestalterischen und optischen Genuss gibt
es beim Schmökern in diesem Buch viel zu entdecken. Da sind zum einen die Begegnungen mit
seinen Freunden aus der Beat-Ära deren Namen inzwischen selbst schon Legenden geworden sind.
So kann man Ferlinghetti auf einer Zechtour mit Jack Kerouac durchs nächtliche Manhattan
begleiten während der Ferlinghetti vor allem darum bemüht ist Jack demgegenüber er sich wie
ein "älterer Bruder" fühlt einigermaßen heil nach Hause zu bringen. Der intellektuelle wie
menschliche Wirbelwind Allen Ginsberg (sein "unersättlicher Verstand verschlingt alles") taucht
immer wieder auf. Und manchmal begegnet Ferlinghetti auf seinen Reisen auch Geistern wie 1960
in Mexiko wo er sich unweit der Stelle an der sich Neal Cassidy ein Jahr zuvor zu Tode
getrunken hat mit der Editierung dessen fragmentarisch gebliebener Autobiografie abmüht:
"Besoffen vom Leben ging er nicht sondern rannte wo immer er hinwollte." Natürlich ist
Ferlinghetti auf seinen Reisen nicht nur mit Literaten unterwegs. 1961 kommt es zu einem
zufälligen Aufeinandertreffen mit Fidel Castro auf Cuba von dessen zurückgenommener
Schüchternheit Ferlinghetti verblüfft ist. In Paris folgt Ferlinghetti seinen eigenen Spuren
und geht die Straßen ab auf denen er sich dreizehn Jahre zuvor als Student "am Leben
berauschte euphorisch und ernst." Später wird Paris für ihn zum Ort einer besonderen
Verleger-Freundschaft als er sich mit George Whitman anfreundet dem Eigentümer der - im
Vergleich zu City Lights nicht minder spektakulären -Buchhandlung Shakespeare and Company
schräg gegenüber von Notre Dame. Momente voller stiller manchmal auch melancholischer
Schönheit finden sich wenn Ferlinghetti auf seinen Reisen ganz für sich ist. In Big Sur jenem
wilden Ort an der US-Pazifikküste legt er eine Wanderrast ein und notiert den wunderbaren
Satz: "Der Wind weht durch mich hindurch über die Hügel." Und in einer kleinen wie beiläufigen
Szene in Paris - inzwischen ist es Herbst 2006 - verdichtet sich auf einmal das gesamte Projekt
seiner Reisenotizen: "Ich schaue aus dem Restaurant nach draußen und sehe dass das Leben
schneller vorbeigeht als die Jahre." Lawrence Ferlinghetti wusste selbst gut genug dass das
spannendste Element seiner eingangs zitierten Definition von Poesie weder die nackte Frau noch
der nackte Mann ist. Es ist das Dazwischen der Abstand zwischen ihnen um das es geht - in der
Literatur genauso wie im Leben. In den Notizen aus Kreuz und Quer kann man lesen - ganz egal ob
man nur Zeit für wenige Seiten hat oder für eine ganze Reise - wie eng diese Dimensionen
miteinander verwoben sind und wie viel Schönheit in der Unvollkommenheit beider liegen kann.