Gießens Existenz beginnt fast ohne Vorgeschichte. Als die Herren von Gleiberg im 12.
Jahrhundert ihr Territorium teilen baut sich Wilhelm in günstiger Lage eine ummauerte
Wasserburg mitten ins weite Tal der Lahn. So tritt Giezzen 1197 in einem Urkundenbuch des
Deutschen Ordens erstmals in die Welt. 50 Jahre später gilt die Siedlung neben der Burg schon
als Stadt und erlebt unter den Hessen deutlichen Aufschwung. Rathaus Stadtkirche und
Marktrechte bezeugen bald ihre Eigenständigkeit gegenüber den etablierten Reichsstädten in der
Umgebung. Ein markantes Eigenleben aber kann ihre Bürgerschaft kaum entwickeln. Als
Nebenresidenz vor allem der Landgrafen von Hessen-Darmstadt bekommt Gießen 1607 sein größtes
Geschenk: die Universität. Kapazitäten wie Justus Liebig und Wilhelm Conrad Röntgen ruft diese
in die Stadt und fördert damit ebenso wie der Eisenbahnanschluss die industrielle Entwicklung
der bisherigen Ackerbürgerstadt mit Residenzfunktion. Später kommt das Militär dazu und bleibt
in Gestalt alliierter Streitkräfte bis vor wenigen Jahren. Heute sieht man Gießen seine
Geschichte kaum mehr an. Ein wahrer Feuersturm gegen Ende des Zweiten Weltkriegs und ein
kompromissloser Modernitätswahn nach 1945 haben der Stadt ein nüchternes Gesicht verpasst. Die
Aufnahme Zehntausender Flüchtlinge stellt die Kommune vor größte Herausforderungen. Und im
Bestreben nach kommunaler Effizienz verliert die Stadt schließlich in den 1970er-Jahren
kurzfristig sogar ihre Eigenständigkeit. Inzwischen hat die Neubestimmung der Stadt im 21.
Jahrhundert begonnen. Einige Rekonstruktionen Museen und Gebäude lassen Gießens Vergangenheit
punktuell wieder aufleben. Dazu liefert dieses Buch den inhaltlichen Rahmen. 825 Jahre nach der
ersten Erwähnung Gießens lohnt sich eine episodische Reise ins Gestern in bewegte und bewegende
Zeiten und in eine offene Zukunft.