Nahe der zur Stadt Krems gehörenden Ortschaft Gneixendorf befand sich im Zweiten Weltkrieg das
größte Kriegsgefangenenlager auf dem Gebiet des heutigen Österreich: das Stalag XVII B
Krems-Gneixendorf. Zeitweise waren hier mehr als 60.000 Kriegsgefangene unterschiedlicher
Nationalitäten interniert. Davon ist heute fast nichts mehr zu sehen. Ein Flugplatz mit
Restaurant querende Straßen Wälder Wiesen und Äcker nehmen den Platz ein. Im verwachsenen
Gelände in der Nähe des Flugplatzes sind noch Fundamentreste der Baracken des Militärpersonals
und weiter östlich ein massiv gebauter Wasserspeicher erhalten. Auf die Geschichte des Ortes
verweisen Stahltafeln einer Kunstinstallation und verwitterte Gedenksteine. Zweieinhalb Jahre
lang suchte die Fotografin und Bildjournalistin Karin Böhm das unweit ihres Wohnortes gelegene
etwa ein Quadratkilometer große Areal immer wieder mit ihrer Kamera auf. Bei ihren Routen ließ
sie sich auf eine durch Interesse Wissen und Intuition gelenkte Entdeckungsreise des Zufalls
ein. Aus der beharrlichen Auseinandersetzung mit dem Ort entstand eine fotografische
Betrachtung und Vermessung. Karin Böhm fand Relikte aus der Vergangenheit der Verwilderung
preisgegebene Natur sowie gegenwärtige Nutzungen und verortete diese mittels Geokoordinaten.
Parallel dazu recherchierte die Historikerin und Kulturwissenschafterin Edith Blaschitz im
Rahmen des Forschungsprojektes NS-'Volksgemeinschaft' und Lager im Zentralraum
Niederösterreich. Geschichte - Transformation - Erinnerung historische Quellen zum Stalag XVII
B. Diese Forschung brachte neue Erkenntnisse zu französischen Kriegsgefangenen der größten
nationalen Gefangenengruppe und zu bislang wenig beachteten belgischen italienischen
serbischen und spanischen Gefangenen. Die Perspektive der Internierten deren Kontakte zur
lokalen Bevölkerung und der Umgang mit der Erinnerung an das Lager standen im Fokus der
Forschungen die auch Interviews und Kontakte mit den wenigen noch lebenden Zeitzeug*innen
sowie Nachkommen von Kriegsgefangenen des Lagerpersonals und Bewohner*innen der umliegenden
Ortschaften beinhalten. Karin Böhm verwebt ihre Bestandsaufnahme des gegenwärtigen Ortes mit
den recherchierten historischen Dokumenten und aktuellen Reaktionen - Fotografien Zeichnungen
Briefe E-Mails Interviews Tagebucheinträge Landkarten und Akten - zu einem dichten
Bild-Text-Ensemble. Vier Kapitel die mit Zitaten und persönlichen Notizen beginnen widmen
sich den Kriegsgefangenen deren Arbeitseinsatz dem Lagerpersonal und der Spurensuche der
Nachkommen. Aktuelle sowie historische Bilder und Texte treten miteinander in Dialog und
eröffnen neue Ebenen des Betrachtens. Die Verbindung von Vergangenheit und Gegenwart wird nicht
nur in den fotografisch festgehaltenen Spuren des historischen Ortes sichtbar sondern auch in
den Abbildungen der historischen Dokumente die mit der 'Spur' des Gegenwärtigen versehen sind
- das vergilbte Foto in den Händen seines Besitzers der Tisch im Archiv. Immer wieder fragen
Karin Böhm und Edith Blaschitz nach der Verbindung eines heute scheinbar 'leeren' Ortes der in
der Erinnerung vieler Familien weltweit verankert ist mit der Vergangenheit. Sie reflektieren
gemeinsam die evozierten Bedeutungen vor dem Hintergrund der historischen Gegebenheiten. Die
Zusammenstellungen werden wenn nötig angepasst. Karin Böhms Fotografien benötigen manchmal
einen zweiten Blick damit sich Details erschließen und ein scheinbar idyllisches Bild bricht.
Ausgewählte Aspekte des komplexen künstlerischen Bild-Text-Mosaiks analysiert die
Kunsthistorikerin und Bildwissenschafterin Viola Rühse im abschließenden Essay wobei ihre
Aufmerksamkeit vor allem den aktuellen Fotografien gilt.