Ich habe mir das Paradies immer als eine Art Bibliothek vorgestellt schwärmte der
argentinische Schriftsteller Jorge Luis Borges. Heute können wir nur erahnen wie eine
Bibliothek der Zukunft aussehen wird welche Umbrüche wir dahingehend erleben werden und
inwiefern wir dann ein Buch eine Anthologie in Händen halten werden. Noch aber ist es nicht so
weit und Sie halten die Facetten 2023 in Händen. Von einer sinnlichen Liebe zum haptischen
Buch schreibt darin Werner Stangl anschaulich und überspitzt. Die Vielfalt der Genres und
Themen ist auch in dieser Ausgabe erstaunlich: Vom Krieg von der Kindheit von dem Schicksal
realer oder fiktiver Familienangehöriger von der Kraft starker Frauen von Demenz und von
Alkoholabhängigkeit etwa erzählen die Autor:innen. Und in einem kompakten Beitrag wird sogar
einfach ein Gestell zum Protagonisten. Ein bereicherndes Element ist dieses Mal auch ein
Beitrag einer fremdsprachigen Autorin: Die mexikanische Autorin Claudia Inés Solis Haje die
bereits viele Jahre in Linz lebt präsentiert einen Text in Originalsprache und in deutscher
Übersetzung. Von einer einstmals weit über die Grenzen des Landes hinaus bekannten
Schriftstellerin berichtet der Literaturwissenschaftler Stefan Maurer in seinem Text über die
2010 verstorbene Brigitte Schwaiger und ihre literarischen Anfänge zu Beginn der 1970er Jahre
in Linz. Die gebürtige Freistädterin startete im Linzer Kellertheater und publizierte als noch
unbekannte Autorin unter einem Pseudonym in den Facetten ehe sie mit ihrem Roman Wie kommt das
Salz ins Meer einen Bestseller landete. Die Facetten als Literarisches Jahrbuch der Stadt Linz
zählen zu den beständigsten Anthologien Oberösterreichs. Im Laufe dieser vielen Jahre sind
einige der Beitragenden zu Stammautor:innen geworden. Eine dieser Schriftstellerinnen war die
Linzerin Eva Fischer und es ist traurig dass dieses Kontinuum mit dem vergangenen Jahr enden
musste. Zwölf Mal konnten wir Eva Fischers originelle Texte in den Facetten lesen. Im April
dieses Jahres ist sie gestorben. Mit noch nicht veröffentlichten Texten unter dem Titel Bist du
heute schon gehüpft? erinnern wir an sie. Das Reizvolle an der Anthologie ist wie schon bisher
die Unterschiedlichkeit der Zugänge und so steht etwa unmittelbar neben einer herkömmlich
erzählten Geschichte ein experimenteller Text und neben einem Beitrag der sich ins
Schwärmerische auszuholen erlaubt findet sich ein sprachlich reduzierter doch genau das ist
der Reiz denn all das ist Literatur sind Texte die gegenwärtig in Oberösterreich entstehen
die hier Schreibende möglicherweise stellvertretend für einige andere ihrer Kolleg:innen
derzeit beschäftigten. Interessanterweise lässt sich die Frage wie sich denn unsere
unmittelbare Gegenwart in der sich die Ereignisse in Österreich und auch in der Welt insgesamt
geradezu überstürzen in den Texten abbildet insofern beantworten dass diese aktuellen
Lebensbedingungen von Ausnahmen abgesehen nicht in dem Maße von den Autor:innen aufgegriffen
werden wie man das vermuten könnte. Dies schmälert Texte aber keineswegs muss doch die
Abbildung der Realität nicht unbedingt die Aufgabe der Literatur sein. Insgesamt sind die
narrativen Texte der vorliegenden Sammlung meist ernster dringlicher Natur. Es überwiegen die
Prosatexte in den Facetten 2023 auch Lyrik ist vertreten. Nicht nur aber auch in Gedichten
tauchen Bilder auf die nachklingen. Es bleibt immer spannend für mich welche der Texte an
rühren diesen Klang zwischen Wort und inneren Bildern entstehen lassen schreibt mir die
Lyrikerin Juta Tanzer. Ja und auch das sollen die Facetten bieten und um an den Beginn dieses
Vorworts zurückzukehren: Das Hineinfallenlassen in einen Text der einen Klang auslöst kann
doch für einen Augenblick auch so etwas wie ein kleines Paradies bedeuten. Und noch bleiben wir
haptisch im Buch.