Dichter und Denker gehen in aller Regel schriftlich auf Gedankenreisen Lora Kostinas
philosophisches Fortbewegungsmittel heißt Jazz. Mit ihrem Trio hat sich die Pianistin immer
wieder an das was uns und die Welt im Innersten zusammenhält herangetastet - im wahrsten
Sinne des Wortes. Die endlos spannende Suche nach Antworten auf die Frage "Wer bin ich und wer
sind wir?" teilt die gebürtige Sankt-Petersburgerin mit ihrem Landsmann Boris Pasternak
(1890-1960). Dessen Gedichte veredelt das Lora Kostina Trio nun zu hochkomplexen Klangfahrten.
Und siehe da: Der über die Jahre mitunter erstarrte Doktor-Schiwago-Nobelpreisträger beginnt
sich zu bewegen ... Solch eine lyrische Verjüngungskur und Neu-Aneignung funktioniert nur mit
einer gestandenen Interpretin: Pascal von Wroblewsky seit Jahrzehnten in der europäischen
Jazzszene aktiv haucht den Texten - die 70 Jahre und mehr auf dem Buckel haben aber immer
noch mehrdeutig glitzern wie russische Ikonen - gekonnt frisches Leben ein. Im Opener "Hamlet"
zugeeignet dem Grübler par excellence verwandelt sie die Verse in episches Theater steigert
sich vom emotionslosen Brecht-Sound ("Der Lärm verebbt Ich trete auf die Bühne") hinein in
die Klage des Außenseiters im "Pharisäerrudel" um sich schließlich im befreiten Scat-Singing
zu erheben. Es ist ein Genuss wie diese Ausnahme-Stimme mit den Silben spielt und gekonnt
zwischen deutschen und russischen Texten wechselt als sei es das Natürlichste der Welt. Lora
Kostinas farbenreiches Klavierspiel vereint mühelos romantische Koloratur klassische Strenge
und moderne Experimentierlust. Gemeinsam mit Daniel Werbachs warm getupftem Bass und Tom
Friedrichs präzis-dynamischem Schlagzeug das auch solistisch nie in Kraftmeierei abdriftet
baut die Leipziger Jazz-Pianistin der jazzigsten Stimme Berlins einen perfekten weil luftigen
Raum. In diesem entfaltet sich nicht nur ein wunderbar wohltemperierter Gesang sondern auch
die Phantasie des Hörers. Letztere ist das eigentliche Ziel Pasternaks. Seine ins Wort
verwandelten Empfindungen von Natur Religion Gesellschaft Liebe sind magische
Augenblicks-Perspektiven - das große Bild den eigenen Reim auf die Geschichte muss sich jeder
selbst machen: "Wer wird nach diesen Zeiten Noch wissen wie's uns ging Wenn Schwätzer sich
verbreiten Doch wir schon nicht mehr sind?"