Als die ersten europäischen Missionare zu Beginn des 20. Jahrhunderts nach China kamen waren
auch Musiker unter ihnen die den Kaiser mit abendländischen Melodien bezaubern und
beeindrucken sollten. 1942 als Romain Rollands Beethoven-Buch in der Übersetzung von Fu Lei
auf Chinesisch herauskam entstand im «Reich der Mitte» ein wahrer Beethoven-Mythos: das Bild
eines unbeugsam Schaffenden der sich nicht einmal durch den Verlust des Gehörs vom Komponieren
und vom Glauben an eine Musik der Zukunft abhalten liess. Doch als schliesslich Mao 1966 die
Kulturrevolution ausrief wurde alles verboten und zerstört was westlich-bourgeoiser Kultur
nur entfernt ähnlich sah - und Fu Lei beging Selbstmord. Nachdem Nixon 1972 China besucht und
Mao die Hand geschüttelt hatte folgte ihm ein Jahr später das Philadelphia Orchestra und gab
als erstes westliches Ensemble ein Symphonie-Konzert in China. 1986 gastierten die Bamberger
Symphoniker zum ersten Mal in Peking und Shanghai. Sechs weitere Tourneen folgten bis 2019. War
es zu Anfang noch keineswegs unüblich in ihren Konzerten zu essen zu telefonieren oder
während der Musik den Saal zu verlassen so werden heute Besucher die ihr Handy zum
Fotografieren oder zum Kurz-Check zücken von smarten Kontrolleuren mit einem Bannstrahl aus
dem Laserpointer bedacht. China baut heute mehrere Konzerthäuser pro Jahr eröffnet fort
laufend neue Konservatorien und seit Lang Lang zum Weltstar avanciert ist werden nirgends so
viele Steinway-Flügel verkauft wie hier. Was bedeutet dieser enorme plötzliche Boom der
klassischen Musik für China? Wie erleben die europäischen Musiker die dort auftreten das Land
und dessen Kultur? Warum darf eine Mozart-Messe in China nicht gespielt werden Beethovens 9.
Symphonie jedoch sehr wohl? Liegt in der Gefühlsmacht die dem Erleben klassischer Musik
innewohnen kann ein Keim individuellen Freiheitsbedürfnisses das den politischen
Kollektivismus in China auf längere Sicht zu unterhöhlen vermag?Auch wenn Musik vielen als
'weicher Faktor' gilt - im Kulturaustausch zwischen Europa und China in der Rivalität ihrer
Systeme ist sie höchst virulent. Von diesen Fragen handelt das «Bamberg Diary #2» auf beredte
Weise in Wort und Bild.