Durch die Corona-Krise hat das Virus unlängst tagesaktuelle Bedeutung erhalten doch Virus und
Viralität gehören spätestens seit der Nachkriegsmoderne zu den zentralen Begriffen einer
manipulativen Verschmelzung von Natur und Technik in der westlichen Gegenwartskultur. Als
Synonym für Veränderung und evolutionärer Alleskönner wird das Virus im Zusammenhang mit den
technologischen Voraussetzungen der Speicherung und Transformation kultureller Informationen
vorgestellt. Wenn es Viren nicht gäbe hätte man sie erfinden müssen. Das im Unterschied zu
Bakterien erst in den späten 1920er Jahren genauer erforschte Virus muss als obligatorischer
Parasit fremde Zellen dergestalt umprogrammieren dass im Wirtskörper eine massenhafte
Reproduktion des Virus selbst stattfindet. Alle wichtigen Diskurse des 20. Jahrhunderts kommen
im Prinzip Virus zusammen. Mit Viralität also dem viral gehen von Informationen in der
Massenkultur entsteht aber etwas wovon man keinesfalls mehr als bekannte biologistische
Metapher sprechen kann sondern das von einem neuen durch digitale Reproduktionstechnologie
rasant beschleunigtem kommunikativen Phänomen des 21. Jahrhunderts zeugt. Die hier
vorgeschlagene KULTURVIROLOGIE leistet einen weitgespannten Überblick zum Virus als Denkfigur
für Interaktion Transmission Interdisziplinarität Konnektivität und Interdependenz im 20.
und 21. Jahrhundert.