Anja Marschall untersucht Reflexionspassagen in Klagetexten innerhalb des Psalters (Ps 42-43
44 88) und des Hiobbuches (Hiob 3-19). Sie stellt heraus dass die Gattung der Klage nicht
erst im Hiobbuch zum Medium existenzieller Reflexion abstrahiert wird sondern bereits in
einigen Psalmen kognitiver Auseinandersetzung Raum gibt. Leidensausdruck in der Form und
Sprache der Klage ermöglicht eine kritische Reflexion der eigenen Identität des Gottesbildes
und der sozialen Stellung. Indem sich die Betenden mit ihrem Klageausdruck auseinandersetzen
eignen sie sich neue Denk- und Handlungsspielräume an. Diese bilden sich im weiteren Verlauf
des Gebets ab. Sie zeugen sowohl von einer vielgestaltigen Linderung des Leidens im Zuge des
Gebets als auch von zielgerichteten Gebetsentscheidungen durch Aneignungsprozesse die zu einer
Vielfalt von Gebetsverläufen jenseits von Formzwang führen.