Wir brachten nicht nur die Straßenbahn Nummer 5 die durch unser Viertel fuhr außerplanmäßig
zum Halten und stiegen in fremde Gärten ein sondern schlugen uns auch mit der autoritären
Haltung mancher Väter und mancher Lehrer herum. Wir wuchsen in den ersten Nachkriegsjahrzehnten
auf. Viele unserer Eltern waren nach dem Krieg mit nahezu Nichts aus ihrer alten Heimat
geflohen und waren froh wieder ein Dach über dem Kopf zu haben. Für viele Familien war es
schon Wohlstand wenn sie in den ersten Jahren genügend Heizmaterial und Essen hatten. Wir
Kinder fanden diesen Zustand damals nicht ungewöhnlich da wir alle in derselben Situation
waren. Das änderte sich aber mit den Jahren: Die Väter brachten mehr Geld nach Hause und wir
konnten uns ein paar neue Sachen leisten.Die meisten von uns gingen damals erst einmal auf eine
Realschule. Alle aus unserer Klasse erlernten einen Beruf der ihnen eine gesicherte Existenz
ermöglichte. Einige gingen weiter auf Fachhochschulen oder Universitäten und promovierten. Eine
Klassenkameradin habilitierte sich in Geschichte. Wir hatten Stärken und nutzten sie: lernen
und nicht aufgeben. Wir wollten raus aus der Enge der kleinen Wohnungen und weg von dem
Sparzwang wir wollten zeigen was wir konnten wir hatten Perspektiven und nutzten unsere
Chancen. Die Arbeitswelt brauchte gute junge Leute. Wir hatten kein Problem einen Job zu
finden. Den Regierungen war damals klar dass das Land nur dann die notwendigen qualifizierten
Fachleute bekommen würde wenn sie uns die Kinder der kleinen Leute finanziell förderten.Aus
diesen Jahren erzähle ich meine Geschichten. Nicht alles was ich berichte muss sich so
abgespielt haben. Diese Erinnerungen habe ich im Laufe mehrerer Jahre aufgeschrieben. Oft
nutzte ich die Zeit auf nächtlichen Transatlantikflügen dazu. Jedes Mal wenn ich später
ehemalige Klassenkameraden getroffen hatte wurde die eine oder andere Episode verändert oder
ergänzt. Manchmal gab es unterschiedliche Sichtweisen.