Die Grundfreiheiten sind die bedeutsamsten subjektiv-öffentlichen Rechte des primären
Gemeinschaftsrechts. Ihre Einzigartigkeit ergibt sich daraus daß sie die Territorialität des
Rechts die ein wesentliches Hindernis für grenzüberschreitende Transaktionen darstellt durch
Gewährung transnationaler justiziabler Individualrechte überwinden und dem einzelnen trotz der
fortbestehenden Souveränität der in der Gemeinschaft zusammengeschlossenen Nationalstaaten den
Zugang zu allen nationalen Teilmärkten ermöglichen. Diese Funktion rückt die Grundfreiheiten in
ein kompliziertes Kräftefeld: Neben dem auf der Rechtfertigungsebene abzuhandelnden
Zielkonflikt zwischen der gewährten Freiheit einerseits und dem Bedürfnis nach regulatorischer
Gestaltung des Wirtschaftsprozesses andererseits müssen bei ihrer dogmatischen Strukturierung
auch kompetentielle Spannungen berücksichtigt werden und zwar bereits auf der
Tatbestandsebene. Soweit die Grundfreiheiten Maßstab für mitgliedstaatliche Maßnahmen sind
verkürzen sie nämlich die mitgliedstaatliche Gestaltungsfreiheit gerade in denjenigen Bereichen
die den Mitgliedstaaten im Verhältnis zur Gemeinschaft kompetentiell zugeordnet sind. Jede
Justierung des Prüfungsmaßstabes ist damit zugleich Austarierung der horizontalen und der
vertikalen Gewaltenbalance. In der Untersuchung wird vorgeschlagen die wenig konturierte
widerspruchsvolle und mit dem geschriebenen Vertragsrecht unabgestimmte Cassis de
Dijon-Rechtsprechung des EuGH aufzugeben und die Grundfreiheiten auf ihre usprüngliche Funktion
als materielle Diskriminierungsverbote zurückzuführen. Dies hebt ihre spezifisch transnationale
Schutzfunktion hervor vermeidet unkontrollierbare Beschneidungen der mitgliedstaatlichen
Kompetenzen und bewahrt vor dem Mißverständnis daß die Grundfreiheiten - als Ersatz für einen
nicht vorhandenen politischen Willen der Mitgliedstaaten zur Rechtsangleichung - allgemeine
subjektiv-rechtliche Deregulierungsansprüche enthalten.