Das Gesetz kann nicht entscheiden. Es braucht dazu den Richter. Aber dieser ist dabei nicht
frei sondern gebunden. Worin bestehen seine Bindungen wenn er das Recht an das er gebunden
ist selbst erzeugt? Früher hat man diese Frage mit pathetischen Gesten beantwortet. Der
Richter sei in einer kafkaesken Situation weil er wisse dass er gebunden sei aber nicht
wisse woran. Soviel Nichtwissen kann sich ein Richter in der Realität aber nicht erlauben. Er
muss sich vielmehr mit den vorgetragenen Argumenten Schriftsätzen und Vorentscheidungen in
knapper Zeit auseinandersetzen. Oder man hat das Richterbild mit der existenziellen Intensität
der großen Entscheidung aufgeladen. Der Richter ist hineingehalten ins normative Nichts und
steht als einsames Subjekt vor der Notwendigkeit zwischen Freund und Feind zu wählen. Aber das
einsame Subjekt kennt der von Kommunikation überschwemmte Richter nur aus der Literatur. Der
heute weitgehend anerkannte Umstand dass das Gesetz nicht entscheiden kann muss also weder in
die Verzweiflung noch in den Dezisionismus führen sondern ganz nüchtern in die Analyse der
Anschlusszwänge die bei der Erzeugung von Recht bestehen. Ralph Christensen und Hans Kudlich
entwickeln ausgehend von dieser Analyse und im Anschluss an die Holismusdiskussion in der
neueren (insbesondere Sprach-) Philosophie ein Modell der Gesetzesbindung das die Bindung
weniger horizontal als vielmehr vertikal in Gestalt eines Netzwerkes der Recht-Fertigung
interpretiert. Auf diese Weise kann das Paradoxienmanagement der Gesetzesbindung in einer
Theorie der Praxis gelingen.