Der von Helga Schultz und Angela Harre herausgegebene Sammelband behandelt eine in der
europäischen Forschung bisher wenig beachtete ostmitteleuropäische Ideologie und
Massenbewegung: Der Agrarismus erlebte seine Blüte im späten 19. und in der ersten Hälfte des
20. Jahrhunderts mit der Regierungsbeteiligung von Bauernparteien in Polen Rumänien der
Tschechoslowakei und den baltischen Staaten einer Bauerndiktatur in Bulgarien und der Gründung
einer Grünen Internationale der Bauernparteien in Prag (1923-1938). Seine Vertreter suchten
nach Antworten auf die als Bedrohung empfundenen Modernisierungsprozesse die sich schließlich
zu einer Ideologie des Dritten Weges zwischen Kommunismus und Faschismus verdichteten. Den
unterschiedlichen Gruppierungen gemeinsam waren Forderungen nach dem Erhalt der bäuerlichen
Familienwirtschaft einer Förderung des Genossenschaftswesens und lokaler Selbstverwaltung. Ihr
Ziel war es den bäuerlichen Bevölkerungsschichten Partizipationsmöglichkeiten in der
nationalen Politik zu ermöglichen und so die gesellschaftliche Stabilität der jungen
Nationalstaaten zu sichern. Die bäuerliche Folklore wurde zum Kern nationaler Identität und zum
Gegenstand von Malerei Musik und Literatur. All dies ist Thema des Sammelbandes zum
Agrarismus. Seine Beiträge kreisen um die zentralen Fragen nach dem Verhältnis zwischen
bäuerlicher Emanzipation und Nationalbewegung zwischen intellektuellen Führern und
Massenbewegungen und um die Spannung zwischen Demokratisierung und Autoritarismus.