Volker Brauns »Bodenloser Satz« hat etwas von der Schmerzhaftigkeit eines Messers mit doppelter
Schneide. Man bedenke: Ein Satz ohne Boden der Land und Leute Lebende und Tote Kriegs- und
Friedenszeiten Liebe und nochmals Liebe verschlingt ein Satz der tiefer und tiefer in sein
Weltall einzudringen sucht. Das ist die Unerhörtheit des Satzes die Lückenlosigkeit seines
Themas. Die Geschichte (der Satz) setzt ein in »schwarzer Nacht auf dem fremd duftenden Laken«.
Im Zustand müder Entspanntheit in einem Übergang zum Schlaf- und Traumbeginn und obwohl Sophie
in der Kammer nebenan liegt widerfährt dem Erzähler eine leibhaftige Liebe mit Natali. Doch
sie ist nur eine erste Station auf dem Weg in eine radikal umfassende Geschichte: »um
zurückzukommen auf mein Land was auch erzählt wurde es hilft mir nicht wenn es nicht meine
Stimme ist die sagt: das ists ... DAS IST ABBRUCHGEBIET ...« ein Landstrich der per Dekret
zum Bergbauschutzgebiet erklärt wird. Und nun wird der Grund durchwühlt Umsiedlungen werden
angeordnet das heißt eine Zerstörungswelle geht über das Land erfaßt Haus und Hof und
Wohlstand und Zuversicht: Und ich beginne meinen Satz ... denn ich fühle mich verantwortlich
für das Geschehen -Dieser bodenlose Satz ist in seiner ganzen die Bodenlosigkeit nicht
scheuenden in alle Tiefen fallenden die Tiefen ergründenden ans Licht an die Oberfläche
holenden ja selbst die Oberfläche überprüfenden inhaltlichen Gestalt ein in seiner
vieldimensionierten Dichte und Präzision und Gespanntheit ergreifendes Werk. Es entstand im
September 1988. Volker Braun erhielt für diesen Bodenlosen Satz den 1989 erstmals vergebenen
»Berliner Preis für deutschsprachige Literatur«.